Die Übermacht - 9
Tellesberg zu verbringen und die andere Hälfte in Cherayth, ist nun einmal ganz genau das: Unfug! Schiffe können sinken – manchmal erwischt es sogar die besten Schiffe, die sich bauen lassen, verdammt! Und wenn es jemanden gibt, der das genau weiß, dann ist das Cayleb Ahrmahk. Aber nein, er musste es unbedingt in diesen Ehevertrag einbauen! Und dann fahren er und Sharley – und Alahnah! – auch noch auf dem gleichen verdammten Schiff hin und her! Wenn das sinkt, dann verlieren wir gleich alle drei auf einmal!
Gut, es war albern, so zu denken. Aber es störte ihn nicht im Mindesten. Im Augenblick nicht. Und er fühlte sich auch nicht sonderlich verpflichtet, im Augenblick vernünftig zu sein. Gewiss, dieses Mal befand sich Sharleyan auf einem anderen Schiff ... aber das bedeutete nur, dass sie jetzt Gelegenheit hatte, auf der Rückfahrt von Corisande vielleicht mit ihrem Schiff unterzugehen. Sofern, rief Gray Harbor sich ins Gedächtnis zurück, HMS Dawn Star nicht schon längst irgendwo in der Chisholmianischen See gesunken war und die Kaiserin und die Kronprinzessin mit sich in die Tiefe gerissen hatte.
Ach, jetzt hör schon auf!
Er schüttelte den Kopf und spürte, wie das missbilligende Stirnrunzeln in ein Grinsen überging. Cayleb Ahrmahk stürmte die Landungsbrücke herunter und ließ dabei fröhlich jegliche Förmlichkeit vermissen, mit der ein Kaiser gewöhnlich in seiner Hauptstadt eintraf. Die Trompeter, die die Abweichung vom Protokoll überraschte, setzten viel zu spät zu einer Fanfare an: Der jugendliche Monarch hatte den Kai bereits erreicht. Die Hälfte der versammelten Höflinge blickte beleidigt drein, ein Viertel lediglich überrascht, und der Rest brach in ebenso schallendes Gelächter aus wie die Matrosen der Galeone oder die zuschauenden Hafenarbeiter.
Du kannst Scharley und Cayleb nicht ändern ... und selbst, wenn du es könntest, würdest du es doch überhaupt nicht wollen , sagte sich Gray Harbor. Abgesehen davon gehört das doch zu dem, was die beiden so besonders macht. Und , seine Miene wurde ernster, es ist Teil der Legende, die beide umgibt. Teil dessen, was das Ganze überhaupt funktionieren lässt. Und sie wären nicht so, wie sie sind, wenn Gott sie nicht so geschaffen hätte. Also warum tust du nicht einfach das, was sie ganz offensichtlich tun, und vertraust nur darauf, dass Gott es schon richten wird?
»Willkommen zu Hause, Euer Majestät ...«, begann er und wollte sich förmlich verneigen. Er kam nicht mehr dazu. Zwei kräftige Arme, die sich offensichtlich ebenso wenig um das Protokoll scherten wie der ganze Rest des Kaisers, umarmten ihn fest.
»Es ist so gut, wieder zu Hause zu sein, Rayjhis!«, sagte eine Stimme an seinem Ohr. Die Arme drückten ihn, zwei sehnige Hände klopften ihm kräftig auf den Rücken, und dann ließ Cayleb den Grafen wieder los. Er legte Gray Harbor beide Hände auf die Schultern, blickte ihm ins Gesicht und lächelte dieses ansteckende, wunderbare Ahrmahk-Lächeln.
»Was halten Sie davon, wenn wir beide jetzt diesen ganzen Radau hinter uns lassen und in den Palast gehen?« Mit dem Kinn deutete er unbestimmt in die jubelnde Menge, die ihr Bestes gaben, ganz Tellesberg taub werden zu lassen. »Und dann suchen wir uns ein paar große, kühle Getränke und erzählen einander, was es alles Neues gibt!«
»Danke, dass Sie sich zu uns gesellt haben, Paityr«, sagte Erzbischof Maikel Staynair, als Bryahn Usher Paityr Wylsynn erneut in sein Arbeitszimmer führte.
Der Intendant setzte zu einem freundlichen Lächeln an. Doch plötzlich erstarrte er, und seine Miene wurde völlig ausdruckslos. Er erkannte Hainryk Waignair, den ältlichen Bischof von Tellesberg, und Kaiser Cayleb in den Männern, die vor Staynairs Schreibtisch saßen.
»Wie Sie sehen«, fuhr Staynair fort und beobachtete dabei Wylsynns Mienenspiel, »haben sich noch einige weitere Gäste eingefunden. Das liegt daran, dass wir etwas recht ... Ungewöhnliches mit Ihnen zu besprechen haben. Etwas, bei dem wohl leider ein gerüttelt Maß an Überzeugungskraft erforderlich sein wird. Also nehmen Sie doch bitte Platz! Sie auch, Bryahn!«
Ushyr schien nicht sonderlich überrascht ob dieser Einladung. Sanft legte er die Hand an Wylsynns Ellenbogen und sorgte auf diese Weise dafür, dass sich der junge Schuelerit wieder in Bewegung setzte. Die beiden traten an Staynairs Schreibtisch heran und küssten respektvoll den erzbischöflichen Ring. Dann nahmen sie in zwei der drei noch freien
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