Die Übermacht - 9
Sessel Platz. Die Position der Sessel ermöglichte es, sowohl den Erzbischof wie die anderen Gäste anzuschauen.
»Bitte gestatten Sie mir, es Maikel gleichzutun und mich ebenfalls bei Ihnen zu bedanken, Pater«, sagte Cayleb. »Und das nicht nur, weil Sie sich heute hier eingefunden haben. Ich weiß durchaus, wie viel mein Haus und mein Königreich – nein, das ganze Kaiserreich – Ihrem Mitgefühl und Ihrer Offenheit zu verdanken haben. Um ganz ehrlich zu sein, ist dieses Wissen auch einer der Gründe für dieses Zusammentreffen.«
»Verzeihung, Euer Majestät?« Wylsynns Miene zeigte eine Mischung aus Überraschung und Verwirrung.
Erst am gestrigen Nachmittag war der Kaiser in Tellesberg eingetroffen. Angesichts all dessen, was sich ereignet hatte, seit er und die Kaiserin vom Alten Königreich Charis aus nach Chisholm aufgebrochen waren, musste ein regelrechter Wirbelsturm aus Informationen und zu fällenden Entscheidungen seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht haben. Also, wieso war er dann jetzt nicht im Palast von Tellesberg? Wenn der Kaiser mit Erzbischof Maikel oder auch allen anderen hier Versammelten sprechen wollte, hätte er sie doch mit Leichtigkeit zum Palast rufen können, statt persönlich hierher zu kommen! Außerdem, wie war er überhaupt in Erzbischof Maikels Arbeitszimmer gelangt, ohne dass jemand seine Anwesenheit bemerkt hatte? Wo waren die Imperialen Gardisten, die ihn doch eigentlich stets im Auge behalten sollten?
»Als Antwort auf eine der zahlreichen Fragen, die Ihnen im Augenblick zweifellos durch den Kopf gehen«, sagte Cayleb, »es gibt einen Tunnel zwischen dem Palast von Tellesberg und der Kathedrale. Den gibt es nun schon seit beinahe zwei Jahrhunderten, und ich bin beileibe nicht der erste Monarch, der ihn nutzt. Zugegeben, heutzutage wird er ein wenig häufiger genutzt als früher, und wir haben niemals den Tunnel zwischen der Kathedrale und dem Palast des Erzbischof betreten, bevor es zu diesem ... öhm ... jüngsten Wechsel auf höchster Ebene gekommen ist.« Sein Lächeln war wirklich ansteckend. »Es sollte mich nicht im Mindesten überraschen, wenn sich herausstellt, dass ähnliche Tunnel zwischen einer ganzen Menge Kathedralen und einer ganzen Menge Paläste existieren. Prinz Nahrmahn hat mir zumindest bestätigt, dass es dergleichen auch in Eraystor gibt.«
»Ich verstehe, Euer Majestät.« Wylsynn bemerkte, dass seine Stimme immer noch seine Verwirrung verriet, und Cayleb lachte leise in sich hinein.
»Zumindest das verstehen Sie jetzt, meinen Sie, Pater«, sagte er. »Aber was den Rest betrifft, tappen Sie immer noch im Dunkeln, nicht wahr?«
»Richtig, Euer Majestät«, gab Wylsynn unumwunden zu.
»Sie werden sich schon bald über alles im Klaren sein, Pater. Tatsächlich«, plötzlich wurde die Miene des Kaisers sehr viel ernsthafter, »werden Sie sich sogar über erstaunlich viele Dinge im Klaren sein. Aber zuerst hat Maikel Ihnen noch einiges zu sagen.«
Cayleb lehnte sich in seinem Sessel zurück und überließ das Wort damit dem Erzbischof. Wylsynn wandte sich dem Oberhaupt der Kirche von Charis zu.
»Was wir Ihnen zu sagen haben, Pater«, Staynair klang ebenso ernst, wie die Miene des Kaisers ausgesehen hatte, »wird Sie gewiss schockieren. Ja, sogar jemand, dessen Glaube so tief verwurzelt ist wie der Ihre, wird einiges davon schwer zu glauben finden ... oder zumindest schwer zu akzeptieren. Und ich weiß – aus eigener Erfahrung, glauben Sie mir –, dass es gänzlich ändern wird, wie Sie die Welt sehen. Die Entscheidung, Ihnen das zu erklären, wurde nicht leichtfertig gefällt. An dieser Entscheidung waren auch nicht nur diejenigen beteiligt, die Sie jetzt in diesem Raum sehen. Die Wahrheit ist, dass ich Sie aus mehr als einem Grund nach Sankt Zherneau geschickt habe, mein Sohn. Ich habe Sie wegen Ihrer Glaubenskrise dorthin geschickt, ja. Ich war Ihnen gegenüber völlig ehrlich, als ich Ihnen gesagt habe, ich selbst hätte vor vielen Jahren eine ähnliche Krise durchlebt und hätte die Antwort auf alle meine Fragen in Sankt Zherneau gefunden.
Was ich Ihnen bei unserem Gespräch noch nicht erzählt habe, ist, dass das, was ich dort erfahren haben, meinen Glauben geändert hat. Ich bin davon überzeugt, dass es meinen Glauben erweitert und vertieft hat. Doch die Ehrlichkeit verlangt, Ihnen zu sagen, dass es ebenso gut meinen Glauben hätte zerstören können, für alle Zeit. Der zweite Grund, warum ich Sie zu Pater Zhon und Pater Ahbel geschickt
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