Die Übermacht - 9
Nein, auch ihnen gefiel beileibe nicht alles, was sich gerade in Zion ereignete. Tatsächlich hielt Sailys Trahskhat Großinquisitor Zhaspahr Clyntahn für eine Abscheulichkeit in Menschengestalt, für einen unauslöschlichen Makel auf der Heiligkeit von Mutter Kirche. Natürlich behielt Sailys diesen Gedanken für sich. Doch die Heilige Schrift und die Kommentare besagten deutlich, dass die Kirche größer war als jene, die ihr dienten. Die Sünden ihrer Diener vermochten nicht die Autorität von Mutter Kirche zu untergraben, und sie entbanden die Kinder von Mutter Kirche auch nicht von der Pflicht zum Gehorsam. Die Kinder der Kirche hatten das Recht zum Protest, und sie konnten Wiedergutmachung verlangen, wann immer die Diener der Kirche ihre Pflichten nicht erfüllten. Ja, sie hatten sogar die Pflicht, darauf zu bestehen, dass die Priesterschaft ihrer Ämter würdig war und würdig des Gottes, dem sie diente. Aber das war immer noch etwas völlig anderes, als sich dem Großvikar in offenem Trotz entgegenzustellen! Es war ganz gewiss nicht das Gleiche, wenn man das Urteilsvermögen eines einfachen Erzbischofs aus der Provinz über das der Erzengel selbst stellte!
Wieder spürte Sailys, wie Zorn in ihm hochkochte. Er zwang sich zur Ruhe. Es stand ihm nicht zu, über andere Menschen zu urteilen. Seine Aufgabe bestand nur darin, seinen Pflichten und seiner Verantwortung nachzukommen und andere zu Pflichterfüllung und verantwortlichem Handeln anzuhalten. Zu diesen Pflichten gehörte auch, für das einzutreten, von dem er wusste, dass es das Richtige war. Es gehörte auch dazu, all die Schwachköpfe zu ertragen, die es nicht verstanden. Solange er nur wusste, dass er das Richtige tat, konnte er das letztendliche Urteil Langhorne und Gott überlassen.
Er wuchtete sich einen weiteren Sack über die Schulter und stapfte wieder auf das Lagerhaus zu.
Dreckiger Ketzer! , dachte Samyl Naigail verbittert. Ich hätte einen verdammten Stein werfen sollen! Er stand in einer kleinen Gasse zwischen zwei Lagerhäusern und fletschte zornig die Zähne. Ach was, ich hätte ein Messer werfen sollen, verdammt noch mal!
Naigail war erst siebzehn Jahre alt. Aber er wusste ganz genau, was vor sich ging. Er wusste auch, wer schuld daran war. Sein Vater war Segelmacher gewesen. Er hatte gute Arbeit geleistet, aber reich war er dabei nie geworden. Auch das war die Schuld dieser verfluchten Charisianer. Schlimm genug, dass jeder meinte, die Charisianer würden die besten Schiffe der Welt bauen, ob das nun stimmte oder nicht. Den Schiffsbauern hier in Siddar-Stadt war es wenigstens gelungen, sich über Wasser zu halten. Damals hatte es wenigstens ab und an Arbeit gegeben. Doch dann hatten diese charisianischen Dreckskerle die verdammte Schoner-Takelung eingeführt, und alles war viel schlimmer geworden. Jeder musste unbedingt eines von diesen neuen Schiffen haben. Wenn man nicht wusste, wie man die Segel für einen Schoner zuschnitt, ja, dann hatte man eben Pech gehabt, nicht wahr? Wer schaffte es schon, Segel zu machen, die es qualitativ mit denen aufnehmen konnten, die mittlerweile aus Charis kamen? Und wer konnte sich diese hochwertigen Segel aus Charis leisten?
Niemand! Und als hätte das noch nicht gereicht, hatten diese gottverdammten Ketzer auch noch die Kirchenspaltung herbeigeführt und sich offen Mutter Kirche widersetzt! Natürlich hatte das den Großinquisitor dazu bewogen, ein Embargo über den Handel mit Charis zu verhängen. Das war doch zu erwarten gewesen! Aber auch dafür hatten sie natürlich gleich eine schöne Antwort parat, nicht wahr? Sie und ihre guten Freunde, die Bankiers – diese Sandmaden! Ach, die Hälfte von denen waren doch auch Charisianer! Sie hatten ihre Spießgesellen in der Regierung des Reichsverwesers, die alle schön mitspielten.
Jetzt nutzte jeder charisianische Schiffe, mit charisianischer Besatzung, finanziert mit charisianischem Geld, und alle taten so, als wären sie Siddarmarkianer. Jeder wusste davon, aber machte das einen Unterschied?
Nein, natürlich nicht! Was auch immer die Schiffspapiere besagen mochten, es waren charisianische Schiffe – und das wussten die charisianischen Freibeuter auch. Also hatten sie freie Fahrt, während alle anderen Schiffe vom Ozean gefegt wurden. Die Verlader, die Lagerhausbetreiber und die Dockarbeiter kamen bestens zurecht, sie und ihre beschissenen charisianischen Freunde! Aber die ehrlichen Arbeiter – die ehrlichen Arbeiter, die treu zum Tempel standen!
Weitere Kostenlose Bücher