Die Übermacht - 9
– fanden keine Arbeit als Zimmermänner oder Segelmacher, als Krämer oder Seiler. Die verhungerten jetzt! Zumindest, wer zu stolz war, sich vor den Suppenküchen anzustellen. Aber man hatte eben seinen Stolz. So, wie das jetzt lief, war es einfach nicht richtig! Es war nicht richtig, dass gute, hart arbeitende, gottesfürchtige Siddarmarkianer plötzlich ohne Arbeit dastanden und auf die Wohlfahrt angewiesen waren, um zu überleben.
Samyls Vater war damit nicht zurechtgekommen. Die Behörden mochten ja noch so oft behaupten, es sei ein Unfall gewesen. Aber Samyl wusste es besser! Natürlich, sein Vater hatte dem Bier schon immer gern zugesprochen. Aber er war doch noch nie derart betrunken gewesen! Mitten im Winter sollte er von der Kaimauer gefallen und im Hafenbecken ertrunken sein. Vorher hatte er, was für ein Zufall!, gerade noch dafür gesorgt, dass Samyl bei seinem älteren Bruder eine Lehrstelle bekam. Nein, das war kein Unfall! Sein Vater hatte es so aussehen lassen, damit Mutter Kirche bereit wäre, ihn in geweihter Erde zu begraben, und vorher hatte er noch rasch alles getan, was er konnte, damit seine Jungens versorgt wären. Es war doch nicht seine Schuld, dass schließlich auch noch Onkel Byrts Segelmacherei pleite gegangen war.
Wieder spürte Samyl heißen Zorn. Wieder kämpfte er dagegen an. Jetzt war nicht die rechte Zeit für Zorn. Da hatten Meister Bahzkai und Pater Saimyn ganz Recht. Wenn sie die Charisianer jetzt angriffen, diesen Dreckskerlen das Leid zufügten, das sie verdient hatten, würden sie damit vermutlich nur erreichen, dass die Bevölkerung von Siddar-Stadt auch noch Mitleid mit diesen Kerlen bekäme! Diese Vorstellung erschien Samyl völlig widersinnig. Aber die Obrigkeit ließ schließlich zu, dass diese verdammten Ketzer sich in Siddar-Stadt breit machten! Wenn sie bereit waren, sich für das charisianische Gold derart zu verkaufen, wer vermochte da schon zu sagen, was sie für dieses Gold noch alles tun würden?
Nein , dachte Samyl, wandte sich ab, steckte die Hände in die Taschen seines Kasack und stapfte zornig die schmale, stinkende Gasse hinab, der Zeitpunkt kommt vielleicht eines Tages, aber noch ist es nicht so weit . Pater Saimyn hatte versprochen, zu gegebener Zeit würden Gott und die Erzengel die Charisianer zerschmettern. Samyl Naigail würde genau das abwarten. Vorerst.
Aber wenn es nicht bald geschähe ... nun ja, ewig würde er nicht warten!
»Guten Abend, Madame Pahrsahn«, sagte Tobys Suwyl. Er wusste, dass er ein wenig steif klang, aber dagegen konnte er nichts tun. Pahrsahn war tatsächlich genau so charmant, geistreich, schön und reich, wie alle ihre Fürsprecher das stets behaupteten. Doch er hatte an ihr bereits den üblen Geruch der Reformisten bemerkt.
»Auch Ihnen einen guten Abend, Meister Suwyl«, erwiderte Pahrsahn, lächelte ihn an und streckte ihm eine zarte Hand entgegen. Der Anschein musste gewahrt bleiben, und so verneigte sich Suwyl und hauchte der Gastgeberin einen Kuss auf den Handrücken. »Mit Ihnen hatte ich heute Abend gar nicht gerechnet«, fuhr sie fort, als er sich wieder aufrichtete.
»Als meine Frau hörte, bei Ihrer Feier träte auch Sharghati auf, musste sie einfach hierher!«, erklärte er.
»Ah, so!« Pahrsahns Lächeln wurde noch breiter und hatte nun etwas unbestreitbar Schelmisches. »Ich hatte gehofft, dass es diese Wirkung hätte«, gestand sie ein. »Alles lohnt sich, wenn man sie dafür singen hören kann!«
Suwyl nickte. Die Gastgeberin hatte Recht. Ahlyssa Sharghati war die berühmteste Sopranistin der ganzen Siddarmark. Sie war bis ins Kaiserreich Harchong gereist, um dort Gesang zu studieren. Selbst noch der hartnäckigste, widerspenstigste Kritiker aus der Siddarmark hatte zugeben müssen, dass die Kunst der Oper im Kaiserreich nach wie vor am besten gepflegt wurde. Sharghati konnte frei aussuchen, an welchem Ort sie aufzutreten wünschte – und zu welchem Preis –, und dass sie nun schon zum zweiten Mal eine Feier Madame Pahrsahns mit ihrer Anwesenheit beehrte, sprach Bände über den Wohlstand der Gastgeberin.
Entweder das, oder es verrät einige äußerst unschöne Dinge darüber, in welche Richtung Sharghati tendiert, was Fragen der Religion betrifft , dachte Suwyl und blickte sich unter den versammelten Gästen um.
»Nun, dann hoffe ich, dass Sie und Ihre bezaubernde Gattin sich heute Abend gut amüsieren«, sagte Pahrsahn zu ihm. »Aber jetzt darf ich mich entschuldigen. Ich sehe, dass gerade die
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