Die Übermacht - 9
überlege! –, und nicht angetan ist, der muss ein ausgewachsener Frauenfeind sein!« Ahrthyr hielt inne und neigte den Kopf zur Seite. »Das ist nicht zufällig der Grund, warum dein Vater immer noch nicht Großvater ist, oder, Koryn? Gibt es da etwas, das du mir bislang verschwiegen hast?«
»Ich habe dir noch nie angedroht, dir den Hals umzudrehen ... bis jetzt!«, gab Gahrvai mit Nachdruck zurück. »Aber wenn du nicht sofort die Klappe hältst, kann sich das ganz schnell ändern!«
»Brutaler Kerl!«, murmelte Windshare. »Und ein Spielverderber bist du auch noch, wenn ich’s mir recht überlege!« Gahrvais Ellenbogen traf den Grafen am Brustbein, und Windshare stieß ein lautes »Uff!« aus. »Schon gut«, gab er sich mit einem Grinsen auf dem Gesicht geschlagen und rieb sich die Brust. »Du hast gewonnen. Ich halt ja schon die Klappe! Hörst du, ich sage kein einziges Wort. Ist doch herrlich ruhig hier. Ich glaube nicht, dass du jemals einen so ruhigen Nachmittag mit mir verbracht ha ...«
Der zweite Hieb mit dem Ellenbogen fiel deutlich kräftiger aus.
Ruhig schritt Sharleyan über den karmesinroten Teppich auf den Thron zu. Sie war zum ersten Mal in Manchyr, auch wenn sie natürlich genau diesen Thronsaal schon viele Male gesehen hatte, seit sie auf Owls SNARCs zugreifen konnte. Aber in Wirklichkeit wirkte er doch noch deutlich beeindruckender. So sehr Sharleyan Hektor Daykyn gehasst hatte, musste sie doch zugeben, dass er hier einen deutlich besseren Geschmack bewies als der mittlerweile verblichene Großherzog Zebediah. Sonnenlicht fiel durch große Bogenfenster entlang der Westwand; der Sonnenschein brachte den polierten Parkettboden mit seinen Einlegearbeiten aus Marmor zum Leuchten und betonte so in äußerst reizvoller Art und Weise die kleinen Medaillons und die geometrischen Muster. Die Wände selbst waren verputzt und getäfelt, in die Alkoven zwischen den Laibungen der Fenster waren in leuchtenden Farben die persönlichen Siegel der sechs letzten Fürsten von Corisande eingelassen. Von der hohen Decke – die Höhe eine Notwendigkeit angesichts des Klimas in diesem Fürstentum, das fast auf dem Äquator lag – hingen Banner herab. Das Tonnengewölbe bestand aus hochglanzpolierten, schimmernden Holzplanken, die einzelne, größere Tafeln voneinander trennten. Darauf kündeten Gemälde von wichtigen Ereignissen in der Geschichte des Hauses Daykyn. Die gesamte Ostwand des großen Saales bestand aus vergitterten Glastüren, hinter denen ein kunstvoll angelegter Garten voller bunter Blütenpracht und saftigem Grün in der Sonne leuchtete.
Doch im Augenblick schenkte Sharleyan der Architektur und dem Garten deutlich weniger Aufmerksamkeit, als diese das wohl eigentlich verdient hätten. Sie konzentrierte sich ganz darauf, weiterhin selbstsicher dreinzublicken, während sie sich dem Podest näherte, auf dem Graf Anvil Rock, Graf Tartarian und die anderen Mitglieder von Prinz Daivyns Regentschaftsrat sie bereits erwarteten. Sie würden die Kaiserin in aller Form willkommen heißen.
Die noch verbliebenen Mitglieder des Regentschaftsrats , rief Sharleyan sich ins Gedächtnis zurück. Nun, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sir Wahlys Hillkeeper, seines Zeichens Graf Craggy Hill, gehörte rein formal immer noch diesem Rat an. Das zu ändern – und zwar dauerhaft – war einer der Gründe für Sharleyans Besuch.
Im Thronsaal herrschte bemerkenswerte Stille. Es war leise genug, dass Sharleyan durch die geöffneten Glastüren hindurch das Rauschen der Brandung vernehmen konnte. Sie zweifelte nicht daran, dass in diesem Augenblick Dutzende von Gesprächen im Flüsterton geführt wurden. Doch die hier versammelten Damen und Herren waren nun einmal Höflinge. Sie hatten gelernt, sich in derlei Gesprächen zu ergehen, ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen. Die meisten von ihnen dürften sogar besonders darauf bedacht sein, keinesfalls die Aufmerksamkeit der Kaiserin von Charis auf sich zu ziehen.
Sharleyan spürte, wie ihre Unterlippe belustigt zuckte, verdrängte den Gedanken rasch und schritt entschlossen auf den Thron zu. Hier hatte sie sich nicht derart ostentativ mit Wachen umgeben wie in Zebediah, obwohl auch hier niemand wagte, ihr zu nahe zu kommen oder sie gar zu bedrängen. Sir Koryn Gahrvais Gardisten hatten sich entlang der Wände des Thronsaals aufgestellt, Musketen mit aufgepflanzten Bajonetten in der Hand. Eine Ehrengarde von Imperial Charisian Marines hatte sie vom Kai bis zum Palast
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