Die Übermacht - 9
bin ich das! Aber stellen wir uns doch einen Augenblick lang vor, Sie würden ihn nicht einmal kennen und die Entscheidung läge ganz bei Ihnen. Würden Sie wirklich das Risiko eingehen, einen Alarm auszulösen, der einen ›Erzengel‹ herbeiriefe? Einen ›Erzengel‹, der mit Langhornes Rakurai der ›Vierer-Gruppe‹ zu Hilfe kommen kann?«
Endlose Sekunden lang knisterte Schweigen über das Com. Dann ...
»Nein«, antwortete Domynyk Staynair. Seine Stimme war kaum zu hören. »Nein, das würde ich nicht tun, Euer Majestät.«
»Churchill und Coventry, Merlin«, sagte Cayleb beinahe ebenso leise. Gequält verzog Merlin das Gesicht. Sharleyan blickte zu ihm auf, eine Augenbraue gehoben. Merlin zuckte mit den Schultern.
»Ein Ereignis aus dem so genannten Zweiten Weltkrieg auf Terra«, erklärte er. »Ich habe das als Beispiel verwendet, um Cayleb etwas zu veranschaulichen, während wir beide in Corisande waren.«
»Es ist gutes Beispiel«, unterstrich Cayleb. »So entscheiden zu müssen gefällt mir nicht! Es widert mich an, genau wie Sharley das vorhin gesagt hat! Aber, ob mir das nun passt oder nicht, die Entscheidung liegt bei mir. Sie bleibt mir fast im Halse stecken, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Außerdem, Domynyk, selbst wenn wir Gwylym die ganze Wahrheit erklären könnten, was meinen Sie wohl, was er uns raten würde?«
»Das Risiko nicht einzugehen, Euer Majestät.« Staynair sprach mit ungewohnter Förmlichkeit. In seiner Stimme aber schwang nicht der Hauch eines Zweifels mit.
»Das denke ich auch«, sagte Cayleb traurig.
.IV.
Zunfthaus der Weber
und Königlicher Palast,
Manchyr, Fürstentum Corisande
Paitryk Hainree stand auf der Galerie, die rings um die Zisterne im Zunfthausturm der Weber verlief. In die Fassade des Turms, die aus kostbarem Granit aus den Barcor Mountains bestand, hatte man ein ganzes Kaleidoskop von Abbildungen gehauen: Schafe, Angoraechsen, webende Jungfrauen, Webstühle im Betrieb. Dieser Turm war eine der wichtigsten Touristenattraktionen in ganz Manchyr. Das aber war Hainree egal, als er nun über seine Geburtsstadt hinwegblickte. Zornig fluchte er, während sich die Galeonen unter dem schwarz-blau-weißen Banner des Kaiserreichs Charis den Kais von Manchyr näherten. Die Sonne war kaum aufgegangen, die Luft noch kühl. Der Morgen hatte jenen eigentümlichen Blauton, der immer kurz nach Sonnenaufgang die ganze Stadt einzuhüllen schien. Die windgetriebene Pumpe hinter Hainree, mit der die Zisterne unablässig nachgefüllt wurde, quietschte leise, fast schon melodisch. Die Luft war frisch und sauber, denn es hatte am Vorabend ein wenig geregnet. Das wird ein wunderschöner Tag , dachte Hainree voller Groll. Dabei sollten eigentlich Tornados und Hurrikane über die Stadt hinwegfegen!
Seine Hände verkrampften sich um das Geländer der Galerie, so fest, dass seine Unterarme zitterten. In seinen Augen loderte blanker Hass. Schon schlimm genug, dass diese widerliche ›Kaiserin‹ überhaupt nach Corisande kommen musste! Aber viel schlimmer war, miterleben zu müssen, wie überall in der Stadt Flaggen aufgehängt und die Straßen und Plätze mit Blumen geschmückt wurden. Was machten diese Idioten dort unten denn nur? Verstanden die denn nicht, worauf das alles hinauslief? Vielleicht sah es ja im Augenblick so aus, als würden diese verwünschten Charisianer wirklich gewinnen. Aber sie hatten sich mit ihrem lästerlichen Willen gegen Gott aufgelehnt, verdammt noch mal! Letztendlich war das Schicksal derart eitler und törichter sterblicher Menschen doch längst besiegelt.
Geschützdonner begrüßte die ›Kaiserin‹ von Charis, als man auf der Festung droben förmlich Salut schießen ließ. Rauch hing über den Geschützpforten. Der Hafen war von Hainrees Aussichtspunkt beinahe eine ganze Meile weit entfernt. Trotzdem hörte er selbst hier oben noch den lauten Jubel an den Kais. Ein Schauer durchlief Hainree. Am liebsten wäre er hier und jetzt über die Brüstung gesprungen! Er wollte einfach nur noch auf das Pflaster hinabstürzen und dem unerträglich werdenden Zorn ein Ende machen. Doch er tat es nicht. So leicht sollten diese Mistkerle aus Charis ihn nicht loswerden!
Noch einen Moment lang starrte er zu den verhassten Galeonen hinüber. Dann wandte er sich entschlossen ab und stieg die Leiter hinunter. Er musste noch eine Sache überprüfen, bevor er seinen derzeitigen Auftrag als abgeschlossen betrachten dürfte, und danach hatte er noch eine weitere
Weitere Kostenlose Bücher