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Die Übermacht - 9

Die Übermacht - 9

Titel: Die Übermacht - 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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regierte mit Furcht. Was Wylsynns eigenem Vater, seinem Onkel und deren Freunden aus dem Vikariat widerfahren war – all jenen, die es gewagt hatten, sich dem Zerrbild entgegenzustellen, das Clyntahn aus Mutter Kirche gemacht hatte –, war eine schreckliche Warnung, was mit jedem geschähe, der töricht genug war, das zu tun.
    Doch wie hatte Clyntahn überhaupt erst in das Amt des Großinquisitors gelangen können? Wie hatte Mutter Kirche derart blind sein können? Wie hatte sie so dumm sein können, wie hatte sie ihre Pflicht und ihre Verantwortung Gott gegenüber vergessen können und ausgerechnet Zhaspahr Clyntahn mit diesem Amt betraut? Wo waren all die anderen Vikare gewesen, als Clyntahn dafür gesorgt hatte, dass Samyl und Hauwerd Wylsynn sowie die anderen Mitglieder ihres reformistischen Kreises brutal abgeschlachtet wurden? Als Clyntahn die Strafen Schuelers an Vikaren von Mutter Kirche vollziehen ließ – nicht etwa, weil sie falsche Lehren verbreitet hätten, nicht, weil sie sich der Ketzerei schuldig gemacht hätten, sondern einzig und allein, weil sie die Unverfrorenheit besessen hatten, sich ihm, dem Großinquisitor, entgegenzustellen? Keiner der anderen Vikare konnte den ungeheuerlichen Vorwürfen, die gegen ihre eigenen Kollegen erhoben wurden, den reformistisch gestimmten Vikaren von Mutter Kirche, ernstlich Glauben schenken! Doch hatte keiner im Vikariat im Protest die Stimme erhoben. Nicht einer. Dabei hatte doch Langhorne selbst den Priestern von Mutter Kirche die Pflicht auferlegt, notfalls ihr Leben für das hinzugeben, wovon sie wussten, dass es wahr, gerecht und richtig war.
    Wylsynn schloss die Augen, lauschte dem Flammengebrüll der Hochöfen, spürte die beherrschte Energie, die immense Kraft, die ihn hier umgab. Er nahm sich zusammen und bereitete sich mehr denn je darauf vor, sich Clyntahn entgegenzustellen – Clyntahn und all den anderen Männern im fernen Zion, die ihn unterstützten. Wieder verspürte der Intendant nagenden Zweifel. Nicht an seinem Glauben an Gott. Er war sich sicher, dass nichts und niemand dort Zweifel säen könnte. Doch sein Glauben an Mutter Kirche war erschüttert. Sein Vertrauen darauf, dass Mutter Kirche geeignet wäre, die Hüterin von Gottes Plan zu sein und die Hüterin von Gottes Botschaft an all Seine Kinder.
    Es gab Menschen, die gegen die Korruption und Verderbtheit der ›Vierer-Gruppe‹ kämpften, ja. Doch sie alle waren gezwungen, das außerhalb von Mutter Kirche zu tun – trotz und gegen Mutter Kirche! Doch bei ihren Bemühungen wandelte sich Gottes Botschaft ein wenig. Sie wurde behutsam verändert, sowohl in ihrer Kernaussage als auch in ihren Maßstäben. Hatten jene Kämpfer ein Recht dazu? Wylsynns eigenes Herz schrie danach, in genau die gleiche Richtung zu streben, in der gleichen Art und Weise das Ausmaß von Gottes Liebe auszuweiten. Aber hatte er das Recht dazu? Oder waren sie alle bereits Shan-wei anheimgefallen? Hatte die Mutter der Täuschungen den guten Willen der Reformisten ausgenutzt – deren eigenes Verständnis von Gott –, um sie alle Gottes Gebot zuwiderhandeln zu lassen? Wollte Shan-wei sie alle zu der irrigen Annahme verführen, Gott müsse weise genug sein, in gleicher Weise wie sie selbst zu denken? Galt es nicht zu akzeptieren, dass der Verstand keines Sterblichen groß genug war, Gott und all seine Werke zu erfassen? Es war nicht der Menschen Aufgabe, Gott Vorhaltungen zu machen, sondern vielmehr Seine Stimme zu hören und ihr zu gehorchen. Es spielt keine Rolle, ob Gottes Gebot mit ihren eigenen Wünschen und Vorurteilen übereinstimmte oder nicht. Sie alle vermochten doch bestenfalls in Ansätzen zu begreifen, was Er in unendlicher Weisheit vorhergesehen und verfügt hatte.
    Wie viel von Wylsynns Sehnen, sich diese neuen Lehren zu eigen zu machen, gründete auf Zorn, auf Entrüstung? Die Wut, die er gegen alles Bemühen einfach nicht mehr zu unterdrücken vermochte, kochte hoch, wann immer er an Clyntahn und dieses Zerrbild dachte, zu dem dieser die Inquisition gemacht hatte. Wie wichtig war diese Wut, der Zorn auf die Vikare, die Clyntahn tatenlos gewähren ließen? Sie willigten selbst jetzt noch durch ihr Schweigen in jede einzelne Gräueltat ein, die Clyntahn im Namen seines eigenen Zerrbilds von Mutter Kirche, ja Glauben und Gott verübte!
    So sehr es Paityr Wylsynn erschreckte und beschämte, er musst sich eine Frage stellen, die sich selbst gegenüber einzugestehen er kaum wagte: Wie viel von seinem

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