Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Satake fühlte sich belästigt; er sah ihn grimmig an, um seinen Blick abzuschütteln. In Satakes Kopf hatte sich ein Gedanke festgesetzt: Die Idee, dass diese Ehefrau der wahre Täter sein könnte. Gesetzt den Fall, ihr Ehemann wäre plötzlich verschwunden und dann zerstückelt aufgefunden worden – würde eine Ehefrau dann so gelassen aussehen wie diese Frau Yamamoto? Satake versuchte sich verzweifelt an den merkwürdigen Missklang zu erinnern, den er bei ihrem Anblick verspürt hatte. Als würde man beim Muschelessen plötzlich auf Sand beißen. Dieser Frau stand etwas im Gesicht geschrieben, das nur jemand lesen konnte, der eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte. Eine Art Stolz, etwas vollbracht zu haben, am Ziel seiner Wünsche zu sein.
Außerdem war Yamamoto verrückt nach Anna gewesen und hatte seine täglichen Besuche im »Mika« aus eigener Tasche bezahlt. Nach dem Erscheinungsbild der Frau zu urteilen, hatten sie nicht gerade in üppigen Verhältnissen gelebt. Da wäre es nicht verwunderlich, wenn sie ihren Mann gehasst hätte – man hätte es ihr nicht einmal verdenken können …
»Na, Satake, was geht uns denn durch den Kopf?«, fragte Kinugasa spöttisch, und Satake ließ sich provozieren. Noch ehe er nachdenken konnte, verriet er seine Gedanken: »Was ist eigentlich mit dieser Ehefrau, hat sie eine weiße Weste?«
Wütend fuhr Kinugasa ihn an: »Das lass nur unsere Sorge sein, Satake, darüber brauchst du dir deinen Kopf nicht zu zerbrechen! Die Frau des Opfers hat erstens ein Alibi und zweitens niemanden, der ihr hätte Beihilfe leisten können. Kümmere dich lieber um dich selbst: Du bist unser Mann!«
Dieser Äußerung musste Satake entnehmen, dass Kinugasa die Ehefrau bereits aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen hatte und in diese Richtung keine weiteren Ermittlungen mehr anstellen würde. Für Kinugasa schien Satake schon als Täter festzustehen, er hatte sich ganz auf ihn versteift. Eine völlige Fehleinschätzung, aber das machte seine Lage keineswegs besser. Vor lauter ohnmächtiger Wut biss Satake die Zähne zusammen.
»Entschuldigen Sie meine unbedachte Äußerung. Aber ich habe wirklich nichts mit der Sache zu tun, glauben Sie mir. Ich schwöre!«
»Ja, ja, quatsch du nur dumm rum!«
»Ach, selber Quatschkopf!«, zischte Satake in Richtung Fußboden. Doch Kinugasa hatte offenbar zu gute Ohren, denn plötzlich stieß er ihm seinen massigen Ellbogen in die Schläfe und brüllte: »Verarsch mich nicht, Satake, hörst du!«
Aber Satake nahm die Polizisten durchaus ernst. Sie waren zu allem fähig, wenn sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatten, einem die Schuld in die Schuhe zu schieben. Und er passte ihnen als Täter wunderbar ins Bild. Schauer der Angst durchliefen ihn. Gleichzeitig kochte er vor Wut: Wenn er es irgendwie schaffen sollte, hier herauszukommen, würde er nicht eher ruhen, bis er sich mit eigenen Händen an dem wahren Täter gerächt hätte. Und vorläufig hatte er Yamamotos Ehefrau im Visier.
Diese Sache würde wahrscheinlich das Aus für das »Mika« und das »Parco« bedeuten, ahnte Satake, der sich längst keine Illusionen mehr darüber machte, wie es in der Welt zuging. Der Gedanke bedrückte ihn zutiefst, er hing an den beiden Läden. Die ganzen zehn Jahre seit seiner Entlassung hatte er in ihren Aufbau gesteckt, und jetzt, da sie gerade so gut liefen, wurde er in diesen verfluchten Fall verwickelt. Der »Sommer« hatte ihn wieder einmal
in die Knie gezwungen. Satake haderte mit dem Schicksal und beklagte seufzend sein Pech.
Plötzlich wurde es düster im Zimmer, und er sah auf. Dunkle Wolken waren aufgezogen, und ein heftiger Wind fuhr durch die grünen Blätter der großen Keyaki-Ulme draußen vor dem Fenster. Es sah nach Gewitter aus.
In dieser Nacht im Untersuchungsgefängnis träumte Satake von der Frau, die er umgebracht hatte.
Die Frau lag mit schmerzverzerrtem Gesicht vor ihm und wimmerte: Hol den Arzt, hörst du, hol den Arzt... Satake bohrte seine Finger in die klaffende Wunde in ihrem Bauch, die er ihr beigebracht hatte. Die Finger verschwanden bis zur Wurzel darin. Aber die Frau schien nichts davon zu bemerken; sie machte nur immer wieder den Mund auf und zu, als würde sie nach Luft schnappen, und flüsterte: Hol den Arzt... Satakes Finger waren bis zum Handgelenk mit frischem Blut verschmiert. Er streifte es an den Wangen der Frau ab. So, die Wangen rot gefärbt mit ihrem eigenen Blut, war die Frau so unvorstellbar schön, als
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