Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
erst wenig Japanisch sprechen. Dass es japanischen Männern gefiel, wenn sie sich zurückhaltend verhielt und nicht viel sagte. Dass sie aber durchaus schriftlich mit ihnen kommunizieren könnte, denn für die korrekte Beherrschung vieler Zeichen und eine schöne Handschrift würde sie Bewunderung ernten, da Männer kluge, aber zurückhaltende Frauen mochten. Dass sie die Gäste unbedingt in dem Glauben lassen sollte, sie wäre eigentlich zum Studium nach Japan gekommen und würde die Sprachschule besuchen – den Job als Hostess machte sie nur, um ihr Taschengeld aufzubessern. Denn selbst, wenn sie im Grunde wüssten, dass das eine Lüge war, wären Männer, die sich in der Illusion wiegen könnten, wirtschaftlich überlegen zu sein, von vornherein freundlicher gestimmt und bereit, freigebiger mit ihrem Geld umzugehen. Und auf keinen Fall vergessen dürfte sie, beiläufig fallen zu lassen, dass sie aus gutem Hause stammte. Das Image der wohlerzogenen Tochter aus Shanghai würde die Männer einmal mehr vertrauensvoll stimmen. Satake wich nicht von Annas Seite und wies sie in alles ein, von der Art, sich zu schminken, wie es den Männern am besten gefiel, bis hin zur Wahl ihrer Kleider.
Hier war Japan, und die japanischen Männer unterschieden sich grundsätzlich von ihren Geschlechtsgenossen in Shanghai, die gelernt hatten, es selbstverständlich zu finden, dass Frauen sich selbstbewusst in der Geschäftswelt behaupteten und gleichberechtigt Geld verdienten. Anna war dieser Unterschied zwar klar gewesen, sie wusste aber nie so recht, wie sie damit umgehen sollte. Durch Satake lernte sie, alles, was er ihr beibrachte, nüchtern als Arbeitstechniken zu betrachten, und sobald sie das tat, war sie auch sehr schnell in der Lage, sie anzuwenden. Es ging nicht darum, sich wirklich in eine demütige Frau zu verwandeln, sie musste sie nur professionell spielen können, um sich in diesem Metier durchzusetzen. Das genau würde ihr den Geschäftserfolg bescheren, mit dem sie sich auch vor ihren Eltern nicht mehr zu schämen brauchte. Außerdem besaß sie tatsächlich Talent dazu: Je länger sie ihre Rolle spielte, desto besser wurde sie, und bald war jene rätselumwobene, wunderschöne Frau aus ihr geworden,
von der Satake gesprochen hatte. Sein Kennerblick hatte sich einmal mehr bewährt.
Schnell eroberte sich Anna im »Mika« den ersten Platz unter den Hostessen. Mit ihrer Beliebtheit wuchs auch ihr Selbstvertrauen, und so konnte sie sich von ganzem Herzen auf diesen Lebensweg einlassen. Anna hatte die streunende Straßenkatze für immer vertrieben.
Sie fing an, Satake »O-nii-chan« – »Mein großer Bruder« – zu nennen. Und Satake sprach darauf an, indem er sie mehr als alle anderen umsorgte und unverhohlen verwöhnte. Im Laufe der Zeit glaubte Anna, dass er in sie verliebt war. Den Beweis dafür sah sie in dem Umstand, dass er sie nicht, wie die anderen Hostessen, hin und wieder speziellen Gästen vorstellte. Doch bald darauf, als hätte er sie durchschaut, erhielt sie einen Anruf von ihm: »Anna-chan, ich habe einen passenden Mann für dich!«
»Und was ist das für einer?«
»Er hat Geld und ist nett, das genügt doch, oder?«
Es handelte sich natürlich nicht um Tony Leung. Der Mann war weder gut aussehend noch jung. Er schwamm lediglich in Geld. Für ein einziges Treffen zahlte er Anna eine Million Yen. Nach zehn Nächten wären das zehn Millionen: ein stattliches Jahresgehalt. Wenn sie ihn sich warmhielte, würde sie bald Milliardärin sein. Als ihre Ersparnisse die Summe überschritten hatten, die sie sich vorgenommen hatte, in Japan zu verdienen, war Tony Leung vergessen.
Anstelle des hübschen Schauspielers schlich sich der finstere, verschlossene Satake in ihr Herz. Sie wollte in seinen Sumpf vordringen und das Lebewesen zu Gesicht bekommen, das darin lebte. Nein, sie wollte es sogar mit eigenen Händen zu fassen bekommen. Anna fühlte sich wie auf der Jagd, so aufgeregt und ungestüm war sie. Sie erinnerte sich daran, wie er bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte: »Es wird immer etwas geben, das nicht so läuft, wie du es dir gewünscht hast. Das ist Schicksal.« Was war das nur gewesen, das sie damals ganz flüchtig in den sumpfigen Seen seiner Augen hatte aufblitzen sehen? Sie würde es schon zu fassen bekommen, ganz bestimmt. Weil sie für Satake eine besondere Frau war.
Doch bei dem Versuch, Satake näher kennen zu lernen, musste
Anna feststellen, dass sie eigentlich gar nichts über ihn wusste;
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