Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
was nicht! Fahren Sie, los, schnell!«, drängte Komada. Aber Yoshië schlich nur träge zum Fahrradabstellplatz zurück. Da gerade mehrere Teilzeitkräfte eintrafen und die Arbeit auf ihn wartete, stieg Komada die Treppe wieder hinauf.
»Herr Komada«, rief Masako ihm nach, »wissen Sie, was mit Frau Azumas Schwiegermutter ist?«
»Nein, aber es hieß, das Haus sei vollkommen abgebrannt.« Komada schien es offenkundig zu bereuen, so etwas Grässliches ausgesprochen zu haben, denn wie um die Worte gleich wieder abzuschütteln, verzog er sich daraufhin unverzüglich in die Fabrik. Masako wartete draußen alleine auf Yoshië, die unglaublich lange brauchte, bis sie endlich zurückkam, das Fahrrad neben sich herschiebend, als müsse sie sich erst noch rüsten für die Realität, der sie sich nun zu stellen hatte.
Masako blickte fest in ihr müdes Gesicht. »Entschuldige, dass ich nicht mitkomme, um dir zu helfen.«
»Ich weiß. Das hatte ich mir schon gedacht, deshalb bin ich ja gekommen, um mich von dir zu verabschieden.«
»Hast du eine Feuerversicherung?«
»Ja, zwar keine große Summe, aber ich habe eine.«
»Gut. Pass auf dich auf.«
»Mach ich. Danke für alles«, sagte Yoshië, verbeugte sich und fuhr los, in die entgegengesetzte Richtung des Weges, den sie gekommen waren. Langsam entfernte sich der matte Schein ihrer Fahrradlampe. Masako sah ihr nach, bis sie verschwunden war, und blickte dann zum Horizont jenseits der Autofabrik. Die unzähligen Lichter der ausladenden Metropole überzogen den Nachthimmel mit einem Hauch von Pink. Weit, weit hinten erschien ihr plötzlich Yoshiës altes Haus, das lichterloh und Funken sprühend in Flammen stand. Sie hatte also doch einen Ausweg gefunden. Als auch noch die letzte Tochter von zu Hause fortgegangen war, hatte sie vor lauter Verzweiflung wohl nicht einmal mehr gezögert. Und wer hatte ihr von hinten einen Schubs gegeben? Niemand anderes als Masako selbst. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie Yoshië damals womöglich erst durch die Anspielung auf Satakes Rache auf die Idee gebracht hatte, und sie konnte ihre Augen eine ganze Weile nicht von der Vision des brennenden Hauses am Himmel lösen.
Schließlich stieg Masako die Treppe hinauf und betrat die Eingangshalle der Fabrik. Komada war erstaunt, sie zu sehen.
»Frau Katori – ja, wollen Sie Frau Azuma denn nicht begleiten?«
»Nein.«
Komada machte ein missbilligendes Gesicht, als wolle er sie zurechtweisen, da sie doch mit Yoshië befreundet war, und fuhr ihr ruppig mit dem Kleberoller über den Rücken.
Der Schichtbeginn rückte näher. Masako ging in den Aufenthaltsraum und sah sich nach Kazuo um, konnte ihn aber nirgends entdecken, weder in der Ecke, wo die brasilianischen Arbeiter für gewöhnlich zusammensaßen, noch im Umkleideraum. Sie trat ans Brett mit den Stechkarten und sah, dass heute offenbar sein freier Tag war. Ohne sich um Komada zu kümmern, der sie aufhalten wollte, schlüpfte Masako in ihre Schuhe und rannte nach draußen.
Plötzlich schien der Tag gekommen, an dem sich alles ändern würde. Vielleicht geschah das sogar schon in dieser Nacht. Masako machte sich über die dunkle Straße auf den Weg zu Kazuos Wohnheim.
Dort hinten wartete Satake auf sie. Während sich ihre Augen noch angestrengt und in höchster Alarmbereitschaft auf die Finsternis hefteten, in der der Dämon lauerte, bog sie links in den Weg ein, der an einzelnen Bauern- und Einfamilienhäusern vorbei zu dem Gebäude führte, in dem Kazuo wohnte. Sie hob den Blick und sah nur in dem Fenster an der Ecke im ersten Stock Licht brennen – Kazuos Zimmer. Vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, stieg Masako die Eisentreppe hinauf. Sie klopfte an, und die Antwort kam prompt auf Portugiesisch. Dann ging die Tür auf, und Kazuo stand in Jeans und T-Shirt und mit erstauntem Gesicht vor ihr. Im Hintergrund flimmerten irgendwelche Bilder über den Fernsehbildschirm.
»Masako-san!«
»Sind Sie allein?«
»Ja.« Kazuo ließ Masako hinein. In der Zimmerluft hingen Gerüche nach fremdländischen Gewürzen, die Masako nicht identifizieren konnte. Am Fenster stand ein Etagenbett, und der japanische Wandschrank für die Futons war zum offenen Abstellplatz umfunktioniert worden. Auf den Tatami stand ein kleiner, rechteckiger Tisch mit Resopalplatte. Im Fernsehen lief ein Fußballspiel. Kazuo stellte das Gerät ab und wandte sich Masako wieder zu. »Das Geld?«
»Ja, entschuldigen Sie, aber könnten Sie es mir noch heute Nacht
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