Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
sagte: »Sayōnara.«
»Sayonara.« Kazuo sprach den japanischen Abschiedsgruß aus wie das traurigste Wort der Welt.
Geräuschlos, wie sie gekommen war, stieg Masako die Treppe des Wohnheims hinunter. Um sie herum war alles still, die Häuser hatten die Regenläden fest verschlossen. Außer den in großen Abständen postierten Straßenlaternen gab es kein Licht.
Masako zog den Reißverschluss ihrer Daunenjacke hoch und ging auf den Parkplatz zu. Auf dem Weg dorthin hörte sie nichts als den Hall ihrer eigenen Schritte. Sie fühlte sich schrecklich einsam. Als sie bei der stillgelegten Fabrik vorbeikam, zögerte sie eine Weile, bevor sie schließlich doch den Zettel mit Kazuos Heimatadresse in kleine Stücke riss und durch den offen stehenden Deckel in den Abwasserkanal warf.
Wenn sie glücklich entkommen könnte, wäre alles gut, doch sie musste sich ebenso darauf gefasst machen zu sterben. Kazuos Zuneigung hatte sie für kurze Zeit aufgewärmt. Aber hinter der Tür, die sie selbst aufgestoßen hatte, wartete ein unbarmherziges Schicksal auf sie.
Sie näherte sich dem Parkplatz. Das Licht im Wachhäuschen war aus. Zwischen drei und sechs sollte es unbesetzt sein. Selbst wenn Satake am liebsten gewartet hätte, bis ihre Schicht zu Ende war – am Morgen müsste er mit weitaus mehr möglichen Zeugen rechnen als in der Nacht. So kühn sollte doch nicht einmal Satake sein. Bevor sie den Parkplatz betrat, suchte sie ihn mit den Augen ab. Es war niemand zu sehen. Erleichtert trat sie auf den Kies, der an einigen Stellen über den harten Lehmboden verstreut worden war. Da sah sie etwas am rechten Außenspiegel ihres Corolla hängen. Sie nahm
es in die Hand und stieß einen kurzen Schrei aus. Es war Kunikos schwarzer Slip. Damit wollte ihr Satake offenbar heimzahlen, dass sie ihm das Ding an die Wohnungstür gehängt hatte. Der Slip kam ihr entsetzlich schmutzig vor, und Masako schmiss ihn zu Boden.
In dem Moment spürte sie, wie sich von hinten ein langer Arm um ihren Hals schlang, doch zum Schreien blieb ihr keine Zeit. Sie wand sich und zappelte, um freizukommen, aber Satakes Arm war wie aus Stahl und ließ nicht locker. Warme Finger drückten sich gegen ihr Kinn, und ein in der blauen Wächteruniform steckender Arm schob sich unter ihren Hals. Sie bekam keine Luft. Doch Angst verspürte sie nicht. Auch keine Lust, wie in dem Traum. Eigenartigerweise nur ein Gefühl der Erleichterung, dorthin zurückgekehrt zu sein, wo sie hingehörte.
6
Er wollte mit der Nacht verschmelzen. Satake hatte das Autofenster offen stehen und wartete darauf, dass die Nachtluft ihn vollständig einhüllte. Das würde ihn beruhigen. Während der Zeit im Gefängnis hatte er nur eine einzige Sache wirklich vermisst: das Wetter direkt auf der Haut spüren zu können.
In der kalten Luft wurden ihm die Glieder steif, und selbst sein Rumpf begann zu zittern. Das Blut geriet einem nicht in Wallung wie im Hochsommer, man konnte einen klaren Kopf bewahren. Eingehüllt von der Dunkelheit, konnte man sogar die Luft selbst, ihre tagsüber kaum merkliche Dichte und Schwere am eigenen Leib spüren. Satake saß auf dem Fahrersitz, streckte seine langen Arme aus und ruderte damit durch die Luft. In die reglose Kälte kam Bewegung.
Satake hatte die Wächteruniform anbehalten und wartete im Auto auf Masako. Den Leihwagen hatte er genau vor Masakos Parklücke abgestellt, in der düsteren, hinteren Ecke an der rechten Seite des Parkplatzes. Er hatte vor, bis sechs Uhr morgens hier zu warten. Wie würde Masako reagieren, wenn sie müde und ausgelaugt von der Schicht kam und Kunikos Slip vorfand, den er ihr im Gegenzug ans Auto drapiert hatte? Das wollte er sich unbedingt anschauen. Er wollte die Ränder unter ihren Augen, ihr aufgelöstes Haar sehen.
Als er sich gerade eine Zigarette anzünden wollte, hörte er ein regelmäßiges Knirschen – Schritte auf dem Kies des Parkplatzes. Die leichten Schritte einer Frau. Hastig steckte er die Zigaretten in die Tasche zurück und hielt den Atem an. Masako! Sie kam tatsächlich schon zurück! Sie sah sich in der Gegend um, wähnte sich in Sicherheit, als sie ihn nicht entdecken konnte, und ging unbekümmert auf ihren Wagen zu. Ihre Schritte verrieten keinerlei Wachsamkeit. Satake öffnete geräuschlos die Autotür und schlich sich hinaus.
Masako stieß einen kurzen Schrei aus, als sie seinen kleinen Racheakt entdeckte. Im Moment, da er erkannte, was für eine perfekte Gelegenheit sich ihm da bot,
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