Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
mit eiligen Schritten auf den Weg zum Parkplatz. In dem Moment bemerkte sie einen Mann, der im Schatten der Platanenpflanzung stand. Es war Kazuo Miyamori. In Jeans, einem weißen T-Shirt
und mit einer schwarzen Kappe auf dem Kopf stand er im Regen und sah zu Boden. In der Hand hielt er einen durchsichtigen Plastikschirm, den er aber nicht aufgespannt hatte.
»›Dreckiges Schwein‹ – was heißt das auf Portugiesisch?«, schimpfte Masako, während sie an ihm vorbeiging. Kazuo guckte betreten und wusste nicht wohin mit seinem Blick. Sie kümmerte sich nicht darum und ging weiter.
Kazuo kam hinter ihr her. »Schirm«, sagte er und hielt ihr den Schirm hin.
»Brauch ich nicht!« Masako schlug danach, und der Schirm fiel auf den betonierten Gehweg, dessen Rand bröckelte. Kein Mensch war in der Nähe, auf der Straße entlang der langen, grauen Mauer der Autofabrik fuhr nicht einmal ein Auto vorüber. Das Geräusch, mit dem der Plastikschirm auf dem Boden aufschlug, erschien überlaut, und Masako spürte, wie Kazuo zusammenzuckte. Der verletzte Ausdruck auf seinem Gesicht erinnerte Masako an vorgestern Nacht, als Yayoi seinen Gruß nicht beachtet hatte.
Er war noch jung. Masako drehte sich zu Kazuo um, der verloren und verzweifelt hinter ihr herlief, und seine Jugend erschien ihr auf einmal als beschwerliche, drückende Last. Seine schwarzen, glänzenden Augen unter der Kappe waren dieselben, die sie gestern Nacht im Schein des roten Monds hatte aufleuchten sehen.
»Hör auf, mir nachzulaufen!«
»Es tut Leid!« Schnell hatte Kazuo sie überholt und stand nun plötzlich vor ihr, beide Hände an seine kräftige Brust gelegt. Sie verstand sofort, dass er sie von Herzen um Verzeihung bitten wollte, aber sie beachtete ihn nicht, sondern bog rechts in den Weg ein, auf dem der Grabscher sein Unwesen trieb. Sie wusste instinktiv, dass Kazuo immer noch hinter ihr herlief. Es ging ihr so schon miserabel genug, da fehlte es ihr gerade noch, an gestern Nacht erinnert zu werden.
»Kommen Sie heute Abend nicht?«
»Wieso sollte ich!«
»Aber …«
Masako lief los, um Kazuo abzuschütteln, als rechter Hand die stillgelegte Fabrik in Sicht kam. Das verrostete braune Rolltor, gegen das Kazuo sie gestoßen hatte, war nicht einmal verbeult,
sein Braun wirkte im Regen umso kräftiger. Das Wiesengras, das sie niedergetrampelt zu haben glaubte, stand wieder üppig und aufrecht da, als sei nichts gewesen. Dass sich nichts verändert hatte, brachte Masako auf einmal zur Weißglut. Die Gefühle der Demütigung und Selbstverachtung, die sie in der vergangenen Nacht empfunden hatte, kamen mit aller Macht zurück.
Masako blieb stehen und wartete, bis Kazuo sie eingeholt hatte. Sie war außer sich vor Wut. Kazuo, den Schirm in der Hand, blickte in Masakos Gesicht und blieb wie angewurzelt stehen.
»Hör gut zu: Wenn du das noch einmal machst, geh ich zur Polizei. Und ich sage es deinem Chef, damit du deine Arbeit verlierst, hast du mich verstanden?«
»…ja.« Kazuo nickte erleichtert, um dann verwundert den dunkelhäutigen Kopf zu heben. Er hatte offenbar zutiefst befürchtet, dass sie ihn anzeigen würde.
»Glaub nur nicht, dass ich dir verziehen habe. Und werd ja nicht übermütig, kapiert?« Nachdem sie das losgeworden war, drehte Masako sich auf dem Absatz um. Kazuo folgte ihr nun nicht mehr. Als sie den Parkplatz erreicht hatte und schließlich doch zurückblickte, sah sie ihn immer noch wie angewurzelt an derselben Stelle stehen.
Idiot!, wollte sie ausrufen, doch sie unterdrückte den Impuls und überlegte, was oder wem dieser Fluch eigentlich gelten sollte, während sie den Blick langsam auf ihren Corolla lenkte. Der stand natürlich noch genau dort, wo sie ihn in der Nacht abgestellt hatte.
Als sie sich vorstellte, was sich in seinem Kofferraum befand – das leblose, bewegungslose Ding -, kam es ihr schier unfassbar vor, dass es wieder Tag geworden war, dass es jetzt regnete. Sie verstieg sich sogar zu dem Glauben, dass selbst der eigennützige junge Mann, der sie noch bis eben verzweifelt um Verzeihung gebeten hatte, nur dazu da war, ihr die Leiche in ihrem Kofferraum ins Bewusstsein zurückzurufen. Der Fluch hatte nichts anderem als diesem reglosen Körper gegolten und niemand anderem als ihr selbst, die sich daran zu schaffen machte, anstatt sich aus der Sache herauszuhalten.
Masako schloss den Kofferraum auf. Sie hob den Deckel gut zehn Zentimeter an und spähte vorsichtig hinein. Sie sah die graue
Hose und das
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