Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Höllenlärm machte. Wie immer würde es Toast und Rührei zum Frühstück geben. Die Zeiten, da sie abends den Timer des Reiskochers eingestellt hatte, damit sie morgens der Duft von kochendem Reis in der Küche empfing, waren lange vorbei. Seit Nobuki so plötzlich keine Lunchbox für die Schule mehr brauchte, kochte sie morgens keine große Reisportion mehr.
»Der Regen macht alles so verdammt düster«, murmelte Yoshiki, als er sich an den Tisch setzte, nachdem er aus dem Bad ins Wohnzimmer gekommen war und von der Veranda einen Blick nach draußen geworfen hatte. Das trifft nicht nur auf das Wetter, sondern auch auf die Stimmung in diesem Haus zu, dachte Masako. Es erstickte sie fast, an einem verregneten Morgen alleine mit ihrem Mann zusammenzusitzen, ohne das Radio oder den Fernseher anzumachen. Masako massierte sich mit beiden Händen die vor Müdigkeit pochenden Schläfen. Yoshiki trank einen Schluck Kaffee und schlug die Zeitung auf. Raschelnd fiel eine Werbebeilage heraus. Sie griff nach dem schweren Bündel aus Hochglanzpapier, schob es auseinander und überflog die Supermarktangebote.
»Was hast du denn mit deinem Arm gemacht?«
Verständnislos blickte Masako auf.
»Na, dein Arm! Du hast doch da einen blauen Fleck«, sagte Yoshiki und zeigte auf ihren linken Oberarm.
Zwischen Masakos Brauen bildeten sich kleine, steile Falten. »Ich hab mich in der Fabrik gestoßen.«
Sie konnte nicht erkennen, ob er sich damit zufrieden gab oder nicht, er sagte jedenfalls nichts weiter. Sie hatte an Kazuo Miyamoris Daumen gedacht, während sie im Bad den blauen Fleck betrachtet hatte. Yoshiki, feinfühlig wie er war, musste Verdacht geschöpft haben. Aber er versuchte nicht einmal nachzuhaken. Er wollte es einfach nicht wissen. Resigniert zündete sich Masako eine Zigarette an. Yoshiki, der Nichtraucher war, wandte sich angewidert zur Seite, um dem Rauch zu entgehen.
Sie hörten, wie jemand schwungvoll die Treppe heruntergerannt kam. Fast unmerklich spannte Yoshiki alle Muskeln an und erstarrte. Masako sah zur Tür. Nobuki, in einem übergroßen T-Shirt und einer knielangen, ausgebeulten Schlotterhose, die ihm lose um die Hüften hing, erschien im Esszimmer. Nichts war mehr zu spüren von dem explosiven jugendlichen Elan, mit dem er die Treppe heruntergekommen war; sie wusste, dass er urplötzlich seine Totenmaske aufgesetzt hatte. Doch seine Augen blitzten scharf, als wollten sie seinen Widerwillen gegen alles und jeden hinausschreien, und sein großer Mund war fest verschlossen, zum Zeichen, dass er nicht gedachte, irgendetwas zu sagen. Hätte es diesen Ausdruck wilder Entschlossenheit nicht gegeben – sein junges Gesicht hätte exakt so ausgesehen wie das seines Vaters in jüngeren Jahren. Nobuki marschierte schnurstracks zum Kühlschrank, machte die Tür auf, holte eine PET-Flasche mit Mineralwasser heraus und setzte sie an den Mund.
»Nimm ein Glas!«, wies Masako ihn zurecht, aber Nobuki beachtete sie nicht und trank weiter. Als sie sah, wie sein mittlerweile deutlich erkennbarer Adamsapfel sich auf- und abbewegte wie ein wildes Tier, hielt Masako es nicht mehr aus: »Auch wenn du stumm bist – hören kannst du ja wohl noch!«
Plötzlich war sie aufgestanden und wollte ihm die Flasche aus der Hand nehmen. Doch ohne einen einzigen Laut von sich zu geben, stieß Nobuki Masako gewaltsam mit dem Ellbogen beiseite. Der Stoß tat weh, denn ihr Sohn war in letzter Zeit ziemlich in
die Höhe geschossen und hatte, seit er auf dem Bau arbeitete, eine viel kräftigere Statur bekommen. Masako prallte mit dem Hüftknochen heftig gegen die Spüle. Mit unbewegter Miene schraubte Nobuki unterdessen langsam den Verschluss auf die Plastikflasche und stellte sie in den Kühlschrank zurück.
»Wenn du nicht reden willst – auch gut, aber hör gefälligst auf, dich zu benehmen, als wärst du hier alleine!«
Nobuki verzog angeödet den Mund und blickte entnervt auf Masako herab. Der eigene Sohn kam ihr plötzlich wie ein Fremder vor, wie jemand, dem sie nie zuvor begegnet und der ihr noch dazu unsympathisch war. Ehe sie sich versah, landete ihre rechte Hand auf seiner Wange. Im kurzen Augenblick der Berührung fühlte sie dünnes, straffes Fleisch – die zarte Jungenwange gab es nicht mehr. Ihr tat die Hand weh, mit der sie ihn geschlagen hatte. Bestürzt blieb sie wie versteinert stehen; da ging Nobuki an ihr vorbei und verschwand schnell im Bad. Kein einziges Wort war über seine Lippen gekommen.
Was immer sie
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