Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
reichte ihn ihr zurück, nachdem er ihn mit einiger Verwunderung betrachtet hatte.
Kuniko geriet immer mehr aus der Fassung, nahm aber andererseits
mit einiger Erleichterung zur Kenntnis, dass man ihr als Geldeintreiber nicht, wie befürchtet, einen Yakuza, sondern einen überraschend galanten jungen Mann geschickt hatte. Das ließ sie sich gefallen, mit ihm würde sie sich schon irgendwie einigen können, und insgeheim gewann sie wieder etwas von ihrer gewohnten Zuversicht zurück.
»Es waren doch fünfundfünfzigtausendzweihundert Yen, nicht wahr? Können Sie mir auf sechzigtausend herausgeben?«
Kuniko holte die fünf Zehntausend-Yen-Scheine von Masako und den einen, den sie selbst noch hatte, aus ihrem Portemonnaie und hielt sie Jūmonji hin. Der schüttelte den Kopf.
»Aber doch nicht hier!«
»Ach so, Sie möchten lieber, dass wir jetzt gleich zur Bank fahren und es auf Ihr Konto einzahlen?«
Kuniko sah auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor vier, am Automaten würde man noch überweisen können.
»Nein, nein, das ist nicht nötig, ich kann das Geld durchaus auch hier entgegennehmen. Ich hatte nur Bedenken wegen Ihrer Nachbarschaft …«
»Ach so, ja, daran habe ich überhaupt nicht gedacht, entschuldigen Sie.« Kuniko senkte betreten den Kopf.
»Nein, nein, ich kann Sie gut verstehen, Sie befinden sich in einer schwierigen Lage, und ich weiß Ihren guten Willen durchaus zu schätzen!« Jūmonji überreichte ihr das Wechselgeld und eine Quittung und flüsterte dann besorgt: »Übrigens soll Ihr Mann ja seine Stelle bei der pharmazeutischen Firma aufgegeben haben, nicht wahr?«
»Oh, ja, das ist richtig.« Das wussten sie also schon! Warum machten sie sich die Mühe und stellten so genaue Nachforschungen an? Insgeheim erschüttert fügte Kuniko hinzu: »Sie wissen ja sehr gut Bescheid!«
»Ja, verzeihen Sie, aber unter den gegebenen Umständen erlauben wir uns vorsichtshalber immer, die näheren Hintergründe ein wenig zu beleuchten. Und wo arbeitet Ihr Mann jetzt, wenn ich fragen darf?«, wollte Jūmonji, nach wie vor freundlich lächelnd, wissen.
Obwohl sie spürte, wie er sie mit seiner geschmeidigen Sprache und seinem zuvorkommenden Auftreten einzuwickeln versuchte
wie eine Spinne ihre Beute, plauderte sie aus, was er auf keinen Fall wissen durfte: »Also, das... das weiß ich nicht.«
»Wie meinen Sie das bitte?« Jūmonji legte den Kopf schief, als würde er nicht begreifen.
Er sah so reizend dabei aus – wie die jungen Prominenten im Fernsehquiz, die schon bei den einfachsten Fragen verlegen den Kopf hin- und herdrehten! Von dem Impuls getrieben, es ihm zu erklären, ließ sie sich gar zu völlig überflüssigen Äußerungen hinreißen: »Er ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Ich mache mir Sorgen, ich fürchte, er hat mich verlassen.«
»Verzeihen Sie die indiskrete Frage, aber: Sie sind doch rechtmäßig verheiratet, oder?«
»Nein, also... wir leben nur zusammen.«
Als Kuniko das mit leiser Stimme gesagt hatte, atmete Jūmonji tief aus: »Puh, so ist das also.«
Nebenan ging die Wohnungstür auf, und die Nachbarin erschien mit ihrem Baby auf dem Rücken und einem zusammengeklappten Buggy in der Hand. Sie nickte Kuniko kurz zu, wobei sie mit unverhohlen neugierigen Blicken den Mann musterte, mit dem ihre Nachbarin da wohl sprach. Unverbindlich nickend wartete Jūmonji rücksichtsvoll ab, bis die Nachbarin verschwunden war. Als wäre er ernsthaft besorgt um Kunikos guten Ruf.
»Was werden Sie denn machen, falls sich Ihre Befürchtung bewahrheiten sollte und Ihr Mann Sie wirklich verlassen hat? Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe trete, aber haben Sie auch genug Geld zum Leben?«
Kuniko war untröstlich. Genau das war ja der Punkt! Die gut hundertzwanzigtausend Yen, die sie monatlich in der Fabrik verdiente, reichten gerade mal für die Kreditzinsen. Was ihren Lebensunterhalt anging, hatte sie sich ganz auf Tetsuyas bescheidenes Einkommen verlassen. Wenn er wirklich abgehauen war, würde sie mit dem Nachtschichtlohn alleine natürlich nicht mehr auskommen.
»Nein, Sie haben Recht. Vielleicht werde ich mir eine weitere Arbeit suchen müssen.«
»Hm...«, machte Jūmonji und, als müsse er überlegen, legte den Kopf wieder in diesem unnachahmlichen Winkel schief. »Auch mit einer weiteren Stelle werden Sie vielleicht gerade den Lebensunterhalt
bestreiten können. Verzeihen Sie meine Offenheit, aber das Problem sind doch Ihre Schulden, nicht wahr?«
»Ja.« Bedrückt
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