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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmuth Santler
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mönchischen Lebensstil, worin er großen Zuspruch in der vornehmen römischen Damenwelt erhielt: Er wurde persönlicher Seelsorger von Paula von Rom, die mit 33 Witwe geworden war und sich mitsamt ihren fünf Kindern Gott verschrieben hatte, da ihr dies der einzige Weg zu sein schien, über den Verlust ihres Gatten hinwegzukommen. Paula huldigte in aller Inbrunst der Askese und infizierte auch ihre Kinder mit der Droge der Enthaltsamkeit. Blaesilla, ihre Älteste, übertrieb es allerdings und nahm eine tödliche Dosis Fastenaskese zu sich: Sie verhungerte.
Der Fastentod einer seiner Schützlinge brachte Hieronymus um die Papstnachfolge.
    Für Hieronymus war dieses Ereignis insofern von entscheidender Bedeutung, als dass es ihn um seine Chancen brachte, dem mittlerweile verstorbenen Papst Damasus nachzufolgen, wie es dessen Wunsch gewesen war. Angesichts der Rufe vom „abscheulichen Mönchsgesindel“, wie sie nach diesem Vorfall durch Rom schallten, war es dem bigotten Klerus ein Leichtes, dem ungeliebten Hieronymus zu entgehen – zu Recht fürchteten sie seine unnachgiebige, gottesfürchtige und äußerst freudlose Auffassung des Christentums. Schließlich hatte er aus seiner Meinung zu den zahlreichen Missständen in der römischen Geistlichkeit in seiner bekannt sarkastischen und fanatischen Art nie ein Hehl gemacht.
    Hieronymus verließ Rom, begleitet von Paula und ihren vier verbliebenen Kindern, und gründete in Betlehem vier Klöster: eines für Mönche, dem er selbst vorstand, drei für Nonnen unter der Leitung von Paula. Dort vollendete er, was er 382, im Jahr seiner Berufung zum päpstlichen Sekretär, begonnen hatte: die Revision der biblischen Schriften.
    Diese Aufgabe bestand aus zwei großen Teilen: Zum einen aus einer Harmonisierung und Vereinheitlichung der diversen Vetus-Latina-Schriften, um dem entstandenen Kanon für das Neue Testament eine Form zu geben. Zum anderen in einer Neuübersetzung des Alten Testaments. Für Letzteres bediente sich Hieronymus offenbar mehrerer Quellen: allen voran der hebräischen Urtexte, dazu in Einzelfällen auch der sogenannten Septuaginta.

Septuaginta und Vulgata
    Die Septuaginta war eine der Legende nach von 72 Gelehrten in 72 Tagen 72-mal wortidente Übertragung hebräischer Bibeltexte ins Griechische für die wachsende hellenistisch-jüdische Gemeinde. Der Einfachheit halber kürzte man auf 70, was ins Lateinische übersetzt nichts anderes bedeutet als Septuaginta. Die Septuaginta ist wesentlich älter als der Tanach, der in Hebräisch gefasste jüdische, 24 Bücher umfassende Schriftenkanon, der gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts vorlag: Eine Gesamtübersetzung alttestamentarischer Texte ins Griechische ist mindestens seit 132 vor Christus belegt, also mehr als 200 Jahre bevor die rabbinische Priesterschaft sich auf eine einheitliche heilige Schrift hatte einigen können.
    Für die Septuaginta kamen hebräische Texte zum Einsatz, die sich in vielen Details von jenen hebräischen Texten unterschieden, die später den Tanach bilden sollten. Noch gravierender war aber der Umstand, dass ganze Bücher, die die Griechischübersetzer für bibelwert erachteten, keinen Einlass in den Tanach fanden.
    In der entstehenden urchristlichen Gemeinde spielte in alttestamentarischen Belangen hingegen die Septuaginta von Anfang an eine maßgebliche Rolle.

    Der heilige Hieronymus, Peter Paul Rubens, um 1615
    Wenn von Hieronymus’ Bibelübersetzung, für die sich später der Name Vulgata (die Übliche) einbürgern sollte, die Rede ist, wird zuvorderst immer darauf hingewiesen, dass er sich nicht wie alle anderen der Septuaginta bediente, sondern – da er ja als Einziger weit und breit des Hebräischen mächtig war – auf Texte zurückgreifen konnte, die in der Originalsprache abgefasst worden waren. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit; einige besonders abenteuerliche Bestandteile des katholischen Alten Testaments waren nie Teil des Tanach gewesen; Hieronymus lagen sie indes in griechischer Übersetzung in der Septuaginta vor, und auf seine Entscheidung hin wurden sie Teil des alttestamentarischen Schriftenkanons – wenigstens aus katholischer Sicht.
    Aus den 24 Büchern des Tanach wurden in der Vulgata 46. Dem liegt neben der Hereinnahme neuer Inhalte auch eine andere Zählung zugrunde – z. B. fassten die Juden die 12 kleinen Propheten in einem Buch zusammen, während Hieronymus jedem ein einzelnes „Buch“ widmete.
    Für die Psalmen sowie Zusätze zu

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