Die Un-Heilige Schrift
erinnern uns, selbst die Bibel spricht von brennender Leidenschaft und Begierde, nachdem er bereits drei Tage und Nächte lang diese so verdammt gut aussehende Judit zum Greifen nahe hatte, aber doch nicht haben konnte oder wollte oder wie auch immer. Jetzt endlich ist es soweit und was macht dieser Tor? Er besäuft sich! Bis zur Besinnungslosigkeit!
So unverständlich das auch sein mag, so steht es geschrieben. Holofernes liegt schnarchend und nach Wein stinkend auf seinem Bett und Judit ergreift die Gelegenheit beim Schopf. Buchstäblich, denn das ist erforderlich, um den Hals des Holofernes schön freizulegen. Dann hackt sie ihm mit einem bereitliegenden Schwert den Schädel ab, steckt diesen in einen Sack, trifft ihre Dienerin und hat – da muss wirklich die Vorsehung die Hand im Spiel gehabt haben – auch noch das perfekte Timing auf ihrer Seite: Gerade ist die Stunde, in der sie die letzten drei Tage stets zu ihrer ersten rituellen Waschung aufgebrochen war. Daher erregt ihr Spaziergang aus dem Lager keinerlei Aufmerksamkeit. Unbehelligt kehrt sie nach Betulia zurück.
Dort präsentiert sie stolz ihre Beute, das Haupt des Holofernes, was Achior dazu veranlasst, spontan zum Judentum zu konvertieren und sich beschneiden zu lassen. Sie überredet ihre Landsleute zu einem Ausfall und prophezeit einen sicheren Sieg: Sobald die Feinde die kopflosen Überreste ihres Anführers entdeckten, würde sie Panik ergreifen. Genauso geschieht es dann auch – ungeachtet der Tatsache, dass das feindliche Heer auch ohne Holofernes mindestens zehnfach überlegen und die Belagerten halb verdurstet und ausgehungert waren.
Waren eben echte Helden bzw. standen sie unter Gottes Schutz. Allen voran Judit, die nach diesen Ereignissen noch unzählige Jahre in Keuschheit lebte, nie wieder einen Mann nahm und bis über ihren Tod hinaus mögliche Feinde davon abhielt, in Israel einzufallen, so sehr strahlte ihre Symbolkraft.
Alles schön und gut, als Handlungsgerüst für einen historischen Roman, ausbaufähig und verbesserungswürdig, sicher auch ein spektakulärer Stoff für eine Verfilmung – weibliche (Action-) Helden sind gerade im Moment besonders gefragt. Aber als Teil einer „Heiligen Schrift“? Das Rabbinertum sah das wie erwähnt anders und dachte nicht daran, die Judit-Erzählung in ihren Kanon aufzunehmen. Der Vulgata-Übersetzer Hieronymus tat es, Luther mochte die Geschichte nicht als gleich inspiriert ansehen wie die von ihm als wirklich kanonisch eingestuften Schriften, gleichwohl übersetzte er sie.
Nicht zu leugnen ist jedenfalls, dass die Story von Judit und Holofernes die Christenheit durch die Jahrhunderte begleitete – was auch nicht weiter verwundert angesichts der gehörigen Portion Sex and Crime, die sie enthält: Die Gelegenheiten, mit katholischem Segen schöne Frauen in anzüglichen Situationen zu malen, waren spärlich gesät. Vor allem im Barock war das Judit-Sujet äußerst beliebt; dramatische Bearbeitungen sind z. B. von Friedrich Hebbel bekannt bzw. von Johann Nestroy, der eben diese Fassung parodierte.
Judit steht für die Gefahren durch die Waffen der Frau.
Aus priesterlicher Sicht mag der Umstand interessant gewesen sein, dass die Geschichte nur zu deutlich auf die Gefahren der „Waffen der Frau“ hinweist: Die von Judit in Holofernes geweckte Geilheit macht ihn zum blinden, wehrlosen Opfer. Mit diesem Geschlechterkampf-Klischee spielt wohl auch Judith Holfelder von der Tann, Leadsängerin der Popgruppe „Wir sind Helden“, die sich als Künstlerin Judith Holofernes nennt. Sie erzählt in einer Selbstdarstellung die Geschichte so: „Der Name Holofernes ist nicht ganz unbelastet. Frau Holofernes hat seinerzeit Judäa belagert, dann ungeschützten Sex mit dem Statthalter gehabt und, nachdem sie gekommen war, ihr Steiftier getötet.“ Eine etwas andere Version, zugegeben – aber da die ganze Sache von Haus aus reine Fiktion ist, spricht auch nichts gegen die fantasievolle Schaffung neuer Fiktion.
Das Buch Henoch
Der hier angesprochene Henoch ist nicht zu verwechseln mit Henoch aus der Genesis, dem Sohn Kains, nach dem auch eine Stadt benannt wurde (Gen 4,17). Gemeint ist vielmehr jener Henoch, dem in der offiziellen Genesis nur einige wenige Zeilen gewidmet sind (Gen 5, 20–24): Er zeugte mit 65 Jahren Metuschelach (Methusalem), der später einen Sohn namens Lamech und dieser wiederum einen Sohn namens Noah haben würde (der anscheinend ein Albino war, wie dem Buch Henoch zu entnehmen
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