Die Un-Heilige Schrift
Dort wird er von Juden der Stadt Betulia gefunden, die von ihm mancherlei geheimdienstliche Information erhalten – mit besten Grüßen von Holofernes, der sich in dieser Sache reichlich ungeschickt verhalten hatte.
Nichtsdestotrotz belagert er die Stadt mit „hundertzwanzigtausend Mann Fußtruppen und ein(em) Aufgebot von zwölftausend Pferden und Reitern“, die Wasserzufuhr wird unterbrochen und nach 20 Tagen sind die Einwohner von Betulia so ziemlich am Ende. Auftritt Judit.
Zum Zeitpunkt der Ereignisse ist Judit bereits über drei Jahre Witwe, hält sich aber immer noch streng an die Gebote:
Sie fastete, seit sie Witwe war, alle Tage, außer am Sabbat und am Vortag des Sabbats, am Neumond und am Vortag des Neumonds und an den Festen und Freudentagen des Hauses Israel. Sie hatte eine schöne Gestalt und ein blühendes Aussehen. Ihr Gatte Manasse hatte ihr Gold und Silber, Knechte und Mägde, Vieh und Felder hinterlassen, die sie in ihrem Besitz hielt. Niemand konnte ihr etwas Böses nachsagen; denn sie war sehr gottesfürchtig. (Einheitsübersetzung)
… und war bekleidet mit einem Sack und fastete täglich, außer an den Sabbaten, Neumonden und anderen Festen des Hauses Israel. Und sie war schön und reich und hatte viel Gesinde und Höfe voll Ochsen und Schafe. Und hatte ein gutes Gerücht bei jedermann, dass sie Gott fürchtete; und konnte niemand übel von ihr reden. (Lutheranische Übersetzung)
Judit beschließt, es darauf ankommen zu lassen, und begibt sich in Gottes Hand für einen wagemutigen Plan, der einer Mata Hari würdig gewesen wäre. Sie zieht alle Register in Sachen reich und schön und geht, ausstaffiert wie auf dem Heiratsmarkt, ins feindliche Zeltlager. Berückt von ihrer blendenden Erscheinung wird sie tatsächlich zum Heerführer Holofernes vorgelassen, dem sie sich als gottergebene Überläuferin präsentiert: Ihr Volk sei ohnehin verloren, weil es von Gott abgefallen sei, daher werde sie Holofernes einen Weg zeigen, ohne eigene Verluste die Stadt einzunehmen.
Judit und Holofernes. Jan Massys, 1575
Judit muss wirklich eine geradezu magisch betörende Schönheit gewesen sein, denn Holofernes glaubt ihr nicht nur jedes Wort, sondern gestattet ihr sogar, an ihrem Glauben festzuhalten. Judit isst nur, was ihre mitgebrachte Dienerin ihr zubereitet, und geht die nächsten drei Tage, in der sie erstaunlicherweise von Holofernes in Ruhe gelassen wird, zweimal täglich zu einer rituellen Waschung.
Am vierten Tag schließlich lädt der mächtige Heerführer die schöne Judit zu einem Gastmahl ein; beide sehen ihre Chance gekommen:
Judit legte ihr bestes Kleid und ihren ganzen Schmuck an. (…) Holofernes aber war über sie ganz außer sich vor Entzücken. Seine Leidenschaft entbrannte, und er war begierig danach, mit ihr zusammen zu sein. Denn seit er sie gesehen hatte, lauerte er auf eine günstige Gelegenheit, um sie zu verführen.
An dieser Stelle darf man sich ruhig fragen, warum Holofernes das nicht bereits längst getan hat: Ein Führer einer über hunderttausend Mann starken Armee und eine allein stehende Frau sollten doch für ausreichend klare Machtverhältnisse sorgen.
War er womöglich gar kein durch und durch bösartiger Eroberer, sondern im Herzen ein echter Gentleman, der sich angesichts einer Traumfrau seiner guten Kinderstube besann? Oder scheute man einfach davor zurück, die pikanten Einzelheiten von Judits Verführungskunst den Lesern zuzumuten – im Unterschied zu den Stück für Stück abgehackten Einzelteilen der gemeuchelten Brüder in den Makkabäer-Büchern?
Spekulationen jeder Art sind gestattet – es handelt sich um eine rein fiktive Geschichte. In der nun der Showdown ansteht – und der ist dem unbekannten Autor gründlich misslungen. Was geschieht? Judit ist also beim Gastmahl und macht auf Geheiß auf fröhlich. Alle anderen Anwesenden amüsieren sich ebenfalls prächtig, es wird reichlich gegessen und getrunken. Irgendwann gehen dann alle und Judit sitzt allein mit ihrer Magd im Zelt des Holofernes. Damit auch wirklich niemand Zeuge wird, wie Judit mit Gottes Hand agiert, schickt die schöne Frau ihre Dienerin auch noch hinaus.
Judit mit dem Haupt des Holofernes (zerstört). Gustav Klimt, 1901. Reproduktion © The Yorck Project
Erstaunlich genug, dass Holofernes keinerlei Wachen bei sich hatte – immerhin befand er sich ja im Krieg. Größenwahn? Leichtsinn? Dummheit? Was auch immer, weitaus unverständlicher sein Verhalten während des Festes: Wir
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