Die Un-Heilige Schrift
angetan, mein Kind, denn siehe, wir haben uns die allergrößten Sorgen gemacht.“ Jesus aber fragte: „Warum sucht ihr nach mir? Wisst ihr denn nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“
Die Schriftgelehrten und Pharisäer wandten sich an die Mutter und fragten: „Bist du die Mutter dieses Jungen?“ Sie bejahte. Da sprachen sie zu ihr: „Selig bist du unter den Weibern, denn der Herr hat die Frucht deines Leibes gesegnet. Denn solche Herrlichkeit, solches Vergnügen und solche Weisheit haben wir niemals gesehen noch gehört.“ Jesus aber stand auf und folgte seiner Mutter und gehorchte seinen Eltern; und seine Mutter behielt alles Geschehene für sich. Jesus nahm danach zu an Weisheit, Alter und Anmut. Ihm sei die Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Der hier dargestellte Jesus hat nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit dem kanonischen Christusbild.
Dieser Text sei dem „Christusbild auch nicht von Ferne angepasst“, meint Oscar Cullmann (Schneemelcher I). Man könnte auch sagen: ein Groschenroman. Cullmann kommentiert weiter:
„Stünde nicht der Name Jesus neben der Bezeichnung Kind oder Knabe, so käme man unmöglich auf den Gedanken, dass es sich bei den Erzählungen von dem übermütigen Götterknaben um eine Ergänzung der Überlieferung von Jesus handeln soll.“
Hier wird ein Umgang mit einer heiligen Gestalt gepflegt, der eher an Indien erinnert, wo noch heute Krishna-Comics zum beliebtesten Lesestoff gehören. Anklänge an Märchen sowie Krishna- und Buddha-Legenden sind denn auch zahlreich in diesem „Evangelium“ zu finden.
Dennoch sollte der Text nicht als Respektlosigkeit missverstanden werden: Den Leuten gefiel es und sie fühlten sich dadurch ihrem Messias noch viel mehr verbunden. Aus der Sicht eines PR-Managers eine gelungene Werbestrategie; die denn auch unzählige Nachfolger nach sich zog. „Legendenwucherung“ nennt das Cullmann. Jesus-als-Kind-Geschichten enthält u. a. das arabische Kindheitsevangelium und über dieses der Koran oder das Pseudo-Matthäus-Evangelium, dem wir das klassische Weihnachtsarrangement „Jesukindlein in der Krippe“ verdanken. Im Protevangelium des Jakobus war von einer Ochsenkrippe (als Versteck vor Herodes Schergen) die Rede gewesen, der Pseudomatthäus führt die Geschichte im Detail aus:
Anbetung der Hirten, Tintoretto, 1576. Das "klassische" Ochs-Esel-Krippenszenario hat keinerlei katholisch-kanonische Wurzeln.
Am dritten Tage nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus trat die seligste Maria aus der Höhle, ging in einen Stall hinein und legte ihren Knaben in eine Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja verkündet ist, der sagt: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“ So beteten sogar die Tiere, Ochs und Esel, ihn ständig an, während sie ihn zwischen sich hatten. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Habakuk verkündet ist, der sagt: „Zwischen zwei Tieren wirst du erkannt.“ Joseph blieb am gleichen Ort mit Maria drei Tage. (Schneemelcher I, S. 367)
Die Krippe als Weihnachts-Accessoire ist erstmal im 13. Jh. im Zusammenhang mit Franz von Assisi bezeugt. Die Darstellung aus dem Pseudo-Matthäus-Evangelium hat ihren Weg in die moderne Konsumwelt gefunden. Foto: Playmobil®
Weitere jesuanische Kindheitsgeschichten finden sich in zahlreichen gnostischen Legenden. Auch dies natürlich beileibe kein Zufall: Seriöse Exegeten können in allen Kindheitsevangelien gnostische und/oder doketische Elemente orten. Ein Jesusknabe, der wie im Kindheitsevangelium des Thomas geschildert bereits als fünf Jahre alter Knirps über Superkräfte verfügt und die gesamte Weisheit der Schöpfung in sich vereint, ist eindeutig nicht menschlich. Zu wenig menschlich selbst aus Sicht der Theologen, die Jesus als wesensgleich mit Gott definierten; das riecht verdächtig nach der doketischen Auffassung von der Scheinleibigkeit Jesu, die ja wie bereits dargelegt wurde das zutiefst menschliche Leiden am Kreuz verunmöglicht hätte – und damit das Erlösungswerk. Aber auch der zweite Aspekt, das ungeheure Wissen in einem so kindlichen Kopf, bereitete Unbehagen. Besonders die Art und Weise, in der Jesus sich da geäußert haben soll, ließ bei den orthodoxen Kirchenvertretern die gnostischen Alarmglocken schrillen. Und als hätte dies alles noch nicht genügt, gab es ja noch den Umkehrschluss: Gnostische Christen interessierten sich
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