Die Un-Heilige Schrift
folgende Abschnitt ist dem Wirken des erwachsenen Johannes des Täufers gewidmet.
Jesu Kindheit war kein Thema für die Bibel, dafür umso mehr für die Masse der Gläubigen.
Lukas gelingt es, die Zeit zwischen Jesu Geburt bzw. Aufnahme in die Gemeinde gemäß den mosaischen Gesetzen (Beschneidung und Opferung von Tauben) und der Szene mit dem zwölfjährigen Jesusknaben im Tempel mit einem Satz abzuhandeln: „Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit, und seine Gnade ruhte auf ihm.“ (Lk 2,40)
Jesus kehrt mit seinen Eltern vom Tempel zurück. Rembrandt, 1654
Die extreme Dürftigkeit dieser „Darstellung“ schrie förmlich nach erheblicher Ausschmückung. Wie war Jesus als Kind? War seine Göttlichkeit bereits erkennbar? Vollbrachte er Wunder? Gerade das fast vollständige erzählerische Vakuum der Bibel erlaubte die frei wuchernde Legendenbildung, die denn auch sofort begann und nie mehr enden sollte.
Als frühestes und bedeutendstes, nebenbei auch als eines der obskursten Produkte dieser Legendenbildung gilt das in unterschiedlichen griechischen, syrischen, georgischen, kirchenslawischen und äthiopischen Fassungen vorliegende
Kindheitsevangelium des Thomas
Die folgende leicht gekürzte Wiedergabe ist an die Edition bei Schneemelcher I angelehnt:
1 Ich, Thomas der Israelit, verkünde euch allen die Kindheits- und Großtaten unseres Herrn Jesus Christus, die er in unserem Lande, in dem er geboren worden ist, vollbrachte. So fing es an:
2 Als der Knabe Jesus fünf geworden war, spielte er an der Furt eines Baches; er leitete das Wasser in Gruben um und machte es sofort rein – mit dem Wort allein gebot er ihm. Dann bereitete er sich weichen Lehm und formte daraus zwölf Spatzen. Es war aber Sabbat, als er dies tat, und viele andere Kinder spielten mit ihm.
Als ein Jude bemerkte, was Jesus beim Spielen am Sabbat tat, eilte er sofort zu dessen Vater Joseph und berichtete ihm: „Joseph, dein Sohn ist am Bach. Er hat Lehm genommen und daraus Vögel geformt und so den Sabbat entweiht.“ Als nun Joseph selbst an den Ort gelangt war und es gesehen hatte, herrschte er den Knaben an: „Weshalb machst du am Sabbat etwas, das man nicht tun darf?“ Jesus aber klatschte in die Hände und rief den Spatzen zu: „Fort mit euch!“ Und schon erwachten die Vögel zum Leben, öffneten ihre Flügel und flogen davon. Die Juden aber, die dies gesehen hatten, staunten und berichteten ihren Ältesten davon.
Als 5-jähriger formt Jesus Spatzen aus Lehm und erweckt sie zum Leben.
3 Der Sohn von Annas, dem Schriftgelehrten, war ebenfalls zugegen. Er nahm einen Weidenzweig und brachte damit das Wasser, das Jesus zusammengeleitet hatte, zum Abfließen. Als Jesus das sah, wurde er zornig und sagte: „Du gottloser Dummkopf, was haben dir die Gruben und das Wasser zuleide getan? Siehe, jetzt sollst auch du wie ein Baum verdorren und weder Blätter noch Wurzeln noch Frucht tragen!“ Und sofort verdorrte der Junge ganz und gar. Jesus aber machte sich davon und kehrte ins Haus Josephs zurück. Die Eltern des Verdorrten beklagten den allzu frühen Verlust und brachten den Leichnam zu Joseph. Sie machten ihm Vorwürfe: „Solch einen Knaben hast du, der so etwas tut!“
Der Knabe Jesus ist tödlich in seinem Zorn. Dass der Schriftgelehrte ausgerechnet Annas heißt, dürfte kaum ein Zufall sein – da der Name für Christen schlecht besetzt war, konnte der Jesusknabe seinen Sohn töten, ohne allzu viele Sympathien zu riskieren.
4 Später ging Jesus durch das Dorf, als ihn ein vorbeilaufender Knabe an der Schulter stieß. Jesus ergrimmte und sagte: „Du sollst auf deinem Weg nicht weitergehen!“ Sogleich fiel der Knabe tot um. Manche von denen aber, die Zeuge gewesen waren, fragten sich: „Woher stammt dieser Junge, dass jedes Wort von ihm sogleich zur Tat wird?“ Und die Eltern des Verstorbenen gingen zu Joseph und schalten ihn: „Da du so einen Sohn hast, kannst du nicht bei uns im Dorf wohnen; oder lehre ihn zu segnen, anstatt zu fluchen. Denn er tötet unsere Kinder.“
5 Joseph nahm Jesus beiseite und wies ihn zurecht: „Warum tust du Dinge, dass die Leute leiden, uns hassen und verfolgen?“ Jesus aber antwortete: „Ich weiß, dass diese Worte nicht die deinen sind, daher will ich deinetwegen schweigen. Jene aber sollen ihre Strafe tragen.“ Und im selben Moment erblindeten all jene, die Anklage gegen ihn erhoben hatten. Die es sahen, gerieten in große Furcht, waren ratlos und
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