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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Galiläa berühmt zu machen. Es gefiel Clémentine, sich den hübschen jungen Mann vorzustellen, der er gewesen sein musste. Maria wollte sicher wissen, was in seinem Kopf vorging. Was er über Jahwe dachte, über die Propheten und all das, sie stellte sich viele Fragen, die sie in entzückte Verwirrung stürzten. Die Hochgelehrten zu befragen wagte sie nicht. Sie hatte immer gewusst, wo sie stand. Aber jetzt, da ihr Sohn Rabbi werden würde …? Während sie ihre Pfannkuchen backte, versuchte sie ihn unauffällig in ein Gespräch zu verwickeln. Er lag auf dem Bauch, in dahingekritzelte Notizen vertieft, und antwortete mit einem ungeduldigen Brummen. Maria fragte nicht weiter nach. Sie sagte sich, dass diese großen Dinge wohl nicht für sie bestimmt waren. Sie vermied jeden Lärm, damit er nach all seinen durchwachten Nächten mit Visionen und Träumen nun schlafen konnte. Zwar musste sie dafür ihre Arbeit ruhen lassen, aber das störte sie nicht. Sie näherte sich sachte, mit vorsichtigen Schritten, kniete nieder und beugte sich über den Schlafenden, um mit geschlossenen Augen den kräftigen Duft seines blonden Haares einzuatmen.
    Als er sich auf den Weg machte, ließ sie einige Stunden verstreichen und raffte sich dann ihrerseits auf, um ihm nachzugehen. Er war ein so prachtvoller Mann, dass sich die Frauen nach ihm umdrehten. Auf dem Markt erlag sie gelegentlich der Versuchung, den Händlerinnen zuzuflüstern: »Das ist mein Sohn, müssen Sie wissen …« Dann errötete sie vor so viel Eitelkeit. Er ging weiter, sie folgte ihm, immer im Hintergrund, nahm pietätsvoll seine Huppe, die er liegen gelassen hatte. Bestimmt war er glücklich, dass sie ihm folgte, vielleicht war ein Großteil seiner Schau nur für sie bestimmt. Er ließ sichjedoch nichts anmerken. Wenn er sie in der Menge, der er predigte, sah, schaute er sie nur gleichgültig an und richtete nie das Wort an sie. Er machte mehr Aufhebens um eine Prosituierte, der er begegnet war und die ihm seitdem ebenfalls folgte. Manchmal tauschten sie Blicke und lächelten nichtssagend. Nachts, wenn alle schliefen, er und seine Schüler, hielt Maria Wache. Sie war sich natürlich dessen bewusst, dass sie betrogen worden war. Nein, sie hatte keinen gewöhnlichen Menschen zur Welt gebracht, darin hatte man sie nicht getäuscht. Er hatte magische Kräfte. Aber sie sah die Wendung, die die Ereignisse nahmen. Sie war beunruhigt über die Schlechtigkeiten, die sie auf dem Weg über ihn zu hören bekam, über die Missbilligung der Priester, die doch eigentlich hätten wissen müssen, wovon sie sprachen, und die düster untereinander tuschelten. Alles, was Jesus sagte, rieb sich an der Religion, mit der sie erzogen worden war und an die sie ihr Leben lang geglaubt hatte.
    Ohne Arbeit, immer mit seinen Freunden unterwegs, handelte er nur nach seinem Kopf, verkündete in gereiztem Ton mit unerhörter Selbstgefälligkeit Urteile und verspürte Reue erst in der dreiundzwanzigsten Stunde. Endlich, als sie weinend unter seinem Kreuz stand, erkannte er den Kummer an, den er ihr beschert hatte, und sprach das rührendste, demütigste Gebet, das zugleich das Eingeständnis seines Scheiterns zu sein schien; er hatte seinen Jünger gebeten, Maria von nun an wie seine eigene Mutter zu behandeln … Und was bekam sie letzten Endes, nach so vielen Opfern, Gefälligkeiten und stillschweigender Billigung, die ihr nie vergolten worden waren? Man legte ihr einen gepeinigten Leichnam in die Arme, schlaff wie ein Frosch mit durchtrennten Nervensträngen, einen gewöhnlichen Straftäter, der erst im Sterben begriff, dassalles Lüge gewesen war, dass der, den er für seinen Vater gehalten hatte, ihn im allerletzten Augenblick verlassen hatte. Es regnete. In schlammverschmierten Kleidern weinte Maria an der Brust ihres einzigen Sohnes, der sich für Luft und Wolkendunst geopfert hatte.
    Die Apostel hatten alles zusammengetragen und eine groteske Geschichte konstruiert; letzten Endes Sünder, die prahlend in der Taverne sitzen. Für einen Moment dachte Clémentine daran, sich ihre eigene Fassung vom Leben Jesu zu schreiben: Das Evangelium, überarbeitet aus Sicht einer Frau. Sie wiegte sich in dieser Vorstellung, die süß wie Rache war. Noch vor wenigen Tagen hätten ihr solche Gedanken vor Angst den Atem verschlagen. Aber jetzt … (Clémentine streichelte sich den Bauch. Lächelte innerlich.) Jetzt war sie frei .
    Clémentine bemerkte, dass sie Maria ihre eigenen Gesichtszüge verlieh, und

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