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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Guillubart krank, weil ich so hinter ihnen her war! Das war es doch, was Sie sich gerade gesagt haben, geben Sie’s ruhig zu. Und dass Rocheleau heute morgen vor mir geflüchtet ist, weil er Angst hatte, ich würde ihn beißen! Und dass ich Guillubart ins Grab gebracht habe!«
    Mademoiselle Pichette kreuzte flüchtig die Blicke der anderen Lehrerinnen, dann legte sie rücksichtsvoll die Hand auf Clémentines Oberarm zum Zeichen des Verständnisses von Frau zu Frau.
    »Aber liebe Clémentine«, säuselte sie, »warum sagen Sie denn solche Sachen?«
    Clémentine riss sich brüsk los.
    »Sie, Sie nehmen Ihre Finger da weg! Mit den Sitten Ihrer Gespielinnen in der Rue Darling habe ich nichts zu schaffen. Und die anderen Damen hier, Sie waren mir noch nie grün, Sie haben mich immer beneidet, weil ich jung war und schön, und weil sich die Männer nach mir umsehen, sogar die Priester, die Schüler, und Gaston Gandon …!«
    Unvermittelt brach sie ab, am Boden zerstört. Seit Wochen hatten ihre Kolleginnen darauf gewartet. Dass sie endlich die Fassung verlor, zusammenbrach, gestand. Mademoiselle Robillard lächelte listig triumphierend. Clémentine beschloss, dass ihr die ganze Angelegenheit nichts mehr bedeutete.
    »Ach, denkt doch einfach von mir, was ihr wollt, und von mir aus lasst mich aus der Schule werfen, ich pfeif drauf. Ihr alten Schachteln könnt mir nichts mehr anhaben. Habt ihrgehört? Gar nichts! Ihr armen Kleinen! Wenn ihr nur wüsstet! Ja, wenn ihr wüsstet …!«
    Sie brach in ein leicht gekünsteltes wollüstiges Lachen aus, dann zog sie ohne Abschied von dannen. Das Geräusch der Kirchentür, die ins Schloss fiel, hallte auf den Steinplatten nach.
    »Du lieber Gott«, sagte Mademoiselle Robillard, »sie musste einfach nur mal reden!«
    Der war gut. Die Lehrerinnen wischten sich mit ihren alten Taschentüchern die Tränen aus den Augen. Das war die Gelegenheit. Sie beschlossen, sich gemeinsam ein paar Petits fours einzuverleiben. Nur Mademoiselle Pichette wollte lieber nach Hause.
    »Hier lang!«, gluckste Mademoiselle Robillard. »Hier geht’s lang!« – sie imitierte eine hinkende Frau.
    Die Geschmacklosigkeit wirkte ernüchternd auf die Runde. Sie machten sich auf die Suche nach dem kleinen Vikar.
    Er saß niedergeschmettert in der Sakristei auf seinem Stuhl, mit zitternder Cedille. Der Schüler Carmel war bei ihm.
    Schließlich fing sich der Priester wieder ein wenig.
    »Begreifen Sie denn nicht? Was der kleine Bradette da in der Kirche gerufen hat, was er uns damit sagen wollte? Wie schrecklich. Er hat sich heute morgen vor seinen Kameraden damit gebrüstet. Na los, Carmel, sag ihnen, was du mir gerade erzählt hast.«
    Carmel senkte wie ein Schuldiger verschüchtert den Kopf. Der Vikar übernahm das Reden für ihn. Dabei mischte sich Schluchzen in seine Stimme:
    »Diese Mademoiselle Clément … Bradette sagt, dass sie ein Kind erwartet … Hören Sie? Er sagt, dass sie schwanger ist von ihm! «
    * * *
    Nach ihrem Streit mit Bruder Gandon in der Woche zuvor war Clémentine drei Tage im Bett geblieben. Jahrelang hatte sie standgehalten, als guter Soldat, allen Widerständen zum Trotz, hatte sich an den Gedanken geklammert, dass all dies nur eine lange, schmerzliche Prüfung sei, um sich das Glück zu verdienen, aber jetzt waren alle ihre Gründe, zu leben und zu kämpfen, bis ins Mark erschüttert, der Ritter war aus dem Sattel gefallen. Nichts war mehr von Wert. Sie wollte dort bleiben, wo das Leben sie aufgegeben hatte, in gegenstandsloser Bitternis und Wut, sich nicht mehr rühren, und verfaulen.
    Sie stand nur auf, wenn Unwohlsein sie dazu trieb, wenn ihre Glieder steif oder eingeschlafen waren oder ihr Gedanken in den Kopf schossen. Sie verschlang alles, was ihr in die Hände kam, lief mit offenem Morgenrock in der Küche im Kreis, als wolle sie sich bestrafen, sich an sich selbst rächen oder an Bruder Gandon, letztlich an allem Hässlichen, das ihr das Leben verleidete. Aus diesem Grund vernachlässigte sie auch in Rachsucht und Ekel ihre Toilette. Sie fühlte sich wie das ausgepresste Stück Zitrone, das seit einer Woche auf dem Küchentresen lag.
    Am ersten Abend klingelte es an der Tür. Es war Mademoiselle Robillard, die gekommen war, um zu erfahren, wie es ihr ging. Clémentine hatte vergessen, ihr Fehlen in der Schule zu melden. Sie steckte nur die Nasenspitze durch den Türspalt. Mademoiselle Robillard versuchte, über ihre Schulter hinweg in die Wohnung zu schauen. Clémentine sagte

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