Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
anderem. Sie öffnete die oberen Knöpfe ihres Nachthemds und suchte nach etwas, worüber sie lachen konnte. Ihre winzigen Brüste wiesen mit ihren dicken harten Knospen in zwei verschiedene Richtungen: Die linke hieß Hierlang, die rechte Dalang. Sie rang sich ein Lachen ab. Aber es kam nicht mehr als ein nervöses Japsen, und plötzlich war das Gesicht der anderthalb Clémentines im Spiegel tiefernst. Sie versuchte sich anzulächeln, das Ergebnis war allerdings noch düsterer, so dass sie sich mit Grauen abwandte und wieder wie zuvor in ihrer Wohnung auf und ab lief.
Nein, sie wollte lachen, wie sie mit achtzehn gelacht hatte, wenn Ducharme sie auf ihr Bett im Heu niederlegte und ihrmit dem Mund den Bauch kitzelte. Eines Sonntags war sie auf dem Weg von der Kirche gestürzt, er hatte ihr aufgeholfen, und gleich mit dem ersten Blick hatte er eine köstliche Verwirrung in ihrer, sagen wir: Seele, ausgelöst. Ein schöner Mann, einen Meter achtzig groß, vierunddreißig Jahre, stark wie ein Baum und sanft wie ein Küken. Etwa sechs Monate lang sahen sie sich regelmäßig. Mit ihm vergaß sie ihren Klumpfuß, für den sie im ganzen Dorf bekannt war: Sie konnte über ihr Gebrechen sogar Witze machen! »Ich lauf’ mit dem Linken, rechts tu’ ich hinken«, sagte sie. Und: »Mit einem Klumpfuß hat man ganz schön was an den Hacken!« Sie träumten davon, eine Familie zu gründen mit so vielen Kindern, dass man sie kaum würde zählen können. Sie hörten schon das Gejohle ihrer Kinderschar und mussten selbst im Voraus lachen. Er schrieb kleine Lieder, die er abends im Zeltlager seinen Kameraden vorsang. Dazu begleitete er sich auf dem Akkordeon. Seine Stimme war klar und fröhlich und dabei feuchtrund. »Mein Liebchen ist die Pferdefuß-Mamsell.« Bei den anderen genoss er hohes Ansehen dafür, das Herz einer Mademoiselle von Bildung gewonnen zu haben. Seine Zähne waren von strahlendem Weiß. Sein lockiges Haar roch nach Tannenharz. Er starb eine Woche vor der Hochzeitsfeier.
Ein großer Holzklotz hatte sich aus einer Pyramide gelöst und war ihm auf den Kopf gefallen. Es hieß, dass alles sehr schnell gegangen war und Réjean nicht das Geringste gespürt hatte. Bei Clémentine war das anders. Sie war schwanger. Durch den Schock verlor sie Blut und außerdem noch etwas, das wie Augenkompott aussah. Sie weinte acht Tage lang, und in der Nacht vor der geplanten Hochzeit verschwand sie aus dem Dorf. Sie hatte sich mit ihren mageren Ersparnissen davongemacht, nachdem sie auch noch die Ladenkasse ihrerMutter geleert hatte. Monatelang vergrub sie sich in der Metropole in einem heruntergekommenen Hotel, verängstigt von der großen Stadt, besessen von der Vorstellung, ihr würde das Geld ausgehen und sie müsse ihr Kind weggeben. Schließlich brachte sie mit der Hilfe von Nonnen, die sie wie eine Dirne behandelten, an einem Tag im Dezember das Kind zur Welt. Einen Jungen wie Réjean, das war ihr größter Wunsch – die ganzen dreißig Stunden, die die Niederkunft dauerte, bat sie Gott in ihren Gebeten darum. Sie wusste, dass sie sich von diesem Leben, das sie aus sich herauskommen spürte, niemals würde trennen können, und sie konnte nichts gegen diesen Anspruch tun, der so gewiss und zwingend war wie ihre Schmerzen. Während sie presste, sagte sie immer wieder: »Komm, mein Lieber, komm! Mama wartet auf dich!« Und der Himmel ließ es zu, dass es ein Junge war.
Eine Totgeburt. Noch achtzehn Jahre danach krümmte sich Mademoiselle Clément bei dem Gedanken daran auf ihrem Bett, kauerte sich mit angezogenen Beinen zusammen, die Fäuste in den Bauch gedrückt.
Clémentine verbrachte ein paar wehmütige Monate als Krankenpflegerin in dem Krankenhaus, in dem sie entbunden hatte. Da ihr Benehmen tadellos und ihre Hingebung vorbildlich waren, hatten die Nonnen sie mit der Zeit schätzen gelernt. Man stellte fest, dass sie Bildung hatte und ihre Frau stehen konnte, und so wurde Mademoiselle Clément zunehmend als Lehrkraft eingesetzt. Dem Anschein nach schien es ihr gut zu gehen, aber in ihrem Inneren fühlte sie sich verwelkt. Sie glaubte sich für immer erloschen, da man sein Herz nach allem, was die Bücher sagten, nur einmal verschenken konnte. Sie beschloss, ihr eigenes Herz auf dem Altar der Erinnerung zu opfern, und schwor ihrem Verlobten Treue bis in den Tod.Davon abgesehen war sie der Ansicht, dass dieses Opfer ihr in Bezug auf ihr Innenleben ganz vorzüglich zu Gesicht stand.
Mit den Jahren begann das Alleinsein
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