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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Erschöpfung oder Langeweile den Kopf neigte, spürte sie den schiefen Blick ihrer Mutter auf ihrem Nacken, einen stechenden und gekränkten Blick, auf den sich allein Madame Clément verstand, wie man meinen konnte, einen Blick, in dem sich Verachtung und ängstliche Missbilligung, Frustration und verletzte Ehre mischten – im Grunde genommen genau der Blick, den sie gehabt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass Clémentine Clémentine war.
    Und so blieb die Lehrerin eine oder anderthalb Stunden und besprach mit ihr, von Pausen unterbrochen, belanglose Dinge von eher unkonventioneller Logik; dann ging sie wieder. Clémentine meinte, letztendlich sei diese Art von Beziehung, mit wenigen Abweichungen hier und da, die übliche zwischen Mutter und Tochter.
    Clémentine trat aus dem Pflegeheim: Die Turmuhr schlug zur halben Stunde. In der Straßenbahn las sie einen Roman ihres Lieblingsautors Victor Hugo und sagte sich, dass auch sie fähig gewesen wäre, Gwynplaine zu lieben. Es gab Sätze, bei denen sie innehielt, die sie wie der Donner rührten und ihr einen unerklärlichen Schauder über den Rücken jagten. Oh, wie tiefgründig er war! Wie gern hätte sie auch so geschrieben! Wenn sie ihn las, überkam sie ein Gefühl von jugendlicher Geborgenheit, so als beuge sich ein alter Mann, keusch und rein, im Übrigen auch mit einer gewissen Ähnlichkeit mit Gott, über ihre Schulter und spreche mit weicher väterlicher Stimme zu ihr. Sie hatte auf ihrem Nachttisch ein Foto von ihm auf Guernsey.
    Sie klappte das Buch zu und schaute hinaus. Die Straßenbahn hätte sie bis auf wenige Schritte vor das Haus derGuillubarts gebracht, aber sie beschloss, in der Rue Orléans auszusteigen, was ihren Weg um einen guten Kilometer verlängerte.
    Sie wollte unbedingt an der Feuerwache vorbeigehen.
    Die Chancen standen Eins zu Tausend, dass er genau in diesem Moment aus dem Fenster schaute, aber eine Chance von Eins zu Tausend war ein akzeptabler Schnitt für jemanden, der nichts zu verlieren hatte. Sie schlenderte unter der Liebkosung dieses unwahrscheinlichen Blicks daher. Mit den Jahren war es ihr gelungen, sich einen würdevollen Gang anzueignen; ihr langsamer, besonnener Schritt und der vor den Bauch gelegte Unterarm erinnerten unbestritten an einen verkrüppelten General bei der Inspektion seiner Truppe. Übrigens schien es ihr, dass dieser Blick sie von allen Seiten vervollkommnete, dass er sie schön machte, weil er schön war, und das Wissen darum wärmte sie, ganz gleich ob es diesen Blick gab oder nicht, denn diese Dinge, und das wusste sie genau, existieren hauptsächlich in unseren Köpfen. Sie hob die Augen zum Himmel und tat, als träume sie über den Versen Lamartines. Da trat sie in ein Häufchen Glück.
    Der zugehörige Hund befand sich noch in Reichweite, mit eingezogenem Schwanz, reumütig gesenkter Schnauze und bereit, Reißaus zu nehmen. Clémentine eilte so schnell sie konnte zur nächsten Sitzbank und versuchte mit einem Stück Zeitungspapier den Schaden zu beheben. Glücklicherweise hatte nur die Sohle des guten Fußes etwas abbekommen. Der Geruch strömte mit einer gewissen Beflissenheit unter der Stiefelette hervor. Zum ersten Mal seit Langem musste sie aus vollem Herzen lachen. Und dieses Lachen beflügelte, belebte und bestärkte sie wie auch den Hund, der anfing mit dem Schwanz zu wedeln. Clémentine erhob sich mit neuenLebensgeistern. Im Vorübergehen warf sie dem alten Parkwächter ein derart kokettes Augenzwinkern zu, dass ihm sämtliche ferne Erinnerungen durcheinanderpurzelten, und vielleicht hätte sie ihren Weg etwas weniger ungezwungen fortgesetzt, wenn sie gewusst hätte, dass der Hauptmann in der Feuerwache tatsächlich die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut hatte.
    * * *
    Madame Guillubart öffnete ihr die Tür. Kurz darauf stand Clémentine in der Eingangsdiele in einer Flut von Stiefeln, von denen ein knappes Dutzend kein Gegenstück hatte. Ausgiebig wischte sie sich die Sohlen auf einem abgetretenen Stück Teppich ab. Dann zog sie den Mantel aus, den sie auf dem Arm behalten wollte. Aber da Madame Guillubart darauf bestand, gab sie ihn schließlich ab.
    Die Dame des Hauses entschuldigte sich verlegen für die Unordnung und bahnte der Lehrerin einen Weg, indem sie rasch mit dem Fuß allerlei Dinge beiseiteschob, die auf dem Boden herumlagen: eingerollte Strümpfe, eine Angel, Zeitungen aus der Vorwoche. Unaufhörlich wischte sie sich mit den Fingern über die Schürze oder rang die Hände, so

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