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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Verse von Vergil aufsagte. Fröhliche, ausgelassene Rufe schallten zu ihnen herüber, Kindergeschrei. Stöcke prallten aufeinander, Kellen schürften über den Boden.Sie bogen um die Ecke des Gebäudes: Auf dem Schulhof spielten ein paar Jungen Hockey.
    Die beiden Mannschaften bildeten einen großen wirren Haufen, der sich jeweils dorthin bewegte, wohin die Scheibe sprang. Nachdem er einem völlig verblüfften Kind den Schläger entrissen hatte, brachte Gandon die Scheibe in seine Gewalt, fuhr die Ellbogen aus, dribbelte geschickt, schlängelte sich zwischen zwei Verteidigern hindurch, stand plötzlich mit flatternder Soutane vorm Tor und zog ab: Der Torwart sprang in die Grätsche und parierte mit der Handschuhspitze, woraufhin die anderen jubelnd schrien.
    Freudestrahlend und beglückt von so viel Bewegung in der Eiseskälte, kam der Direktor mit rot glühenden Wangen zur Lehrerin zurück. Er sah jung aus, worauf er ein wenig gesetzt hatte, und sympathisch. Jedoch meinte er zu erkennen, dass sie ihn mit einem grausamen Scharfblick betrachtete, und fühlte sich auf frischer kindischer Tat ertappt. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging von dannen. Er musste rennen, um sie einzuholen.
    Schon vor Tagen hatte Gandon eine Veränderung bei ihr festgestellt. Sie wirkte zerstreut, und wenn er sie ansprach, vermittelte sie ihm den Eindruck, dass er sie störe. Er fragte sich, was er gesagt oder getan haben konnte, das zu einem solchen Umschwung geführt hatte. Bisher war ihr Verhältnis, wie er glaubte, ganz ungezwungen gewesen, ohne Schatten oder Hintergedanken, und wenngleich er sich an ihre launischen Ausbrüche erst hatte gewöhnen müssen, sah er in ihnen doch lediglich die Auswüchse einer recht eigenwilligen Sensibilität. Warum plötzlich diese Kälte? Gandon wusste sich nichts vorzuwerfen. Vielleicht sollte er häufiger betonen, was für eine ausgezeichnete Lehrerin sie war? Aber dafür gab esdie Berichte, die er über sie verfasste und in denen er stets seine vollste Zufriedenheit zum Ausdruck brachte, und das wusste sie auch. Was konnte sie sonst noch von ihm erwarten? Nein, so weit käme es noch, dass er ihr Komplimente über ihr neues Kleid machte, das ihr, in aller Objektivität betrachtet, ganz vorzüglich stand. Es war für ihn unvorstellbar, dass Mademoiselle Clément in dieser Hinsicht auch nur die geringste Eitelkeit besitzen könnte.
    In einer Stille, die offenbar nur ihn zu stören schien, schritten sie die Bahngleise entlang. Gern hätte er sie rundheraus gefragt: »Was haben Sie gegen mich?« Doch fürchtete er, sich ihr damit auszuliefern und sie in einen Vorteil zu bringen. Er versuchte zu pfeifen. Das Ergebnis war so kläglich, dass er nach zwei Takten wieder aufhörte.
    Unterwegs begegneten ihnen einige Polizisten auf Streife, was für diesen Teil des Viertels eher ungewöhnlich war. Die Lehrerin blieb unvermittelt stehen, und Gandon, der ihrem Blick folgte, erkannte nun seinerseits den Feuerwehrhauptmann. Zum Gruß schlug der Hauptmann die Hacken zusammen. Er verbeugte sich und sagte mit vors Herz gehaltener Mütze: »Das Fräulein Lehrerin …« Langsam richtete er sich wieder auf und erklärte:
    »Es sind Beschwerden über einen Herumtreiber eingegangen. Er soll hier in den Straßen Feuer gelegt haben.«
    »Mein Gott.«
    »Haben Sie keine Angst, Mademoiselle! Nichts weist darauf hin, dass die Person die Absicht hatte, Häuser in Brand zu stecken. Nur etwas verbranntes Papier auf dem Pflaster, mehr nicht. Bestimmt ein Verrückter. Vorsichtshalber bin ich selbst hergekommen, um mir ein Bild von der Lage zu machen. Es ist alles in bester Ordnung.«
    Bruder Gandon schlug der Lehrerin vor, sie zur Wohnstätte der Nonnen zu begleiten, wo man ihr gewiss Unterschlupf für die Nacht gewähren würde. Clémentine suchte den Blick des Hauptmanns, und fand ihn. Dann schaute sie zu Gandon.
    »Nein, es geht schon, ich habe keine Angst. Außerdem versichert uns der Hauptmann ja, dass keine Gefahr besteht. Nicht wahr, Herr Hauptmann?«
    »Es ist alles in bester Ordnung«, wiederholte der Hauptmann.
    Die Lehrerin neigte den Kopf und blinzelte mit den Augenlidern. So verharrten sie eine Weile wie eingepflockt und sprachen kein Wort. Mademoiselle Clément war ebenso hochgewachsen wie die beiden Herren, was sie verlegen machte. In der fortdauernden Stille maßen sich Gandon und der Hauptmann aus dem Augenwinkel. Wären sie Hunde gewesen, hätten sie sich gegenseitig das Hinterteil beschnüffelt. Plötzlich blieb

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