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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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beinah bäuchlings auf Ellbogen und Händen die Treppe hinauf.
    Bruder Gandon war noch immer wie erstarrt. Es war, als wäre ihm eine Vase aus Porzellan aus den Händen geglitten und auf dem Boden zerschellt. Stumpfsinnig betrachtete er den irreparablen Schaden. Ihn überkam das Gefühl, dass zwischen ihm und Mademoiselle Clément nichts mehr so sein würde wie früher.
    Der Direktor ging zurück zur Schule. Die Spuren ihrer Schritte im Schnee waren noch frisch. Er dachte an Dinge, die er vielleicht nie wieder mit ihr machen würde, wie etwa einhellig Seite an Seite als gute Freunde spazieren zu gehen, und sein Herz krampfte sich zusammen.
    Als sie sich von den Guillubarts verabschiedet hatten, musste sie sich in der Enge der Eingangsdiele kurz an ihn lehnen, und ein dezentes Parfüm hatte seine Nase überrascht wie der Wohlgeruch von Blumen, nachdem es geregnet hat. »Du hättest ihr wenigstens sagen können, dass ihr neues Parfümgut riecht, du Idiot, das wäre keine Sünde gewesen!« Gandon beschleunigte den Schritt.
    Aber was er gerochen hatte, war kein Parfüm. Es war Clémentines natürlicher Geruch.
    * * *
    Der Hauptmann spähte dem Direktor nach, bis er verschwunden war. Dann wählte er den Weg über die Gasse, damit man ihn nicht über die Vordertreppe bei ihr eintreten sah. Im Küchenfenster brannte die Lampe, das war das Zeichen, er konnte hinaufgehen. Er klopfte an die Tür. Niemand öffnete. Erstaunt versuchte er es noch einmal. Noch immer nichts. Der Hauptmann zögerte. Sollte er etwa eintreten, ohne dass Mademoiselle Clément es ihm gestattet hätte? Da er sie erst seit wenigen Tagen kannte, wusste er nicht, wie sie reagieren würde.
    Falls sie ihm den Vorwurf machte, würde er sich immer noch auf seine Besorgtheit berufen können. Er schaute sich nach allen Seiten um und drehte am Knauf: Es war nicht abgeschlossen. Clémentine war nicht in der Küche. Er rief nach ihr – keine Antwort. Er ging weiter.
    Sie stand im Flur, den Mantel über der Schulter, den Telefonhörer noch in der Hand. Sie wirkte entgeistert.
    »Der kleine Guillubart«, hauchte sie.
    Mehr konnte sie nicht sagen.

A chtzehn Jahre Geduld, Kulissenschieberei und Kungelei mit den Gläubigern hatten es Séraphon am Ende ermöglicht, seinem Großonkel die Holzhandlung abzutrotzen. Onkel Anselm war zäh, aber Séraphon ein Meister der Beharrlichkeit, und schließlich hatte der alte Mann den Kampf aufgegeben. Noch auf seinem Totenbett hatte er geflucht: »Du hast mich übers Ohr gehauen, du Schlawiner!« Woraufhin Séraphon entgegnete: »Aber Onkel, ich habe Sie doch nicht gehauen. Ich habe mir nur ganz friedlich genommen, was ich gerne haben wollte.« Dabei ließ er dem Sterbenden die Ladenschlüssel vor der Nase baumeln. Die Großtante weinte.
    Zu seiner Blütezeit, bevor der Brand alles vernichtete, beschäftigte der Handel nicht weniger als sechs Mann, die bis zu drei Abende die Woche einsetzbar waren. Tagsüber aber war der Hof menschenleer, es herrschte eine betrübte Atmosphäre, und Séraphon musste sein Verlangen, Befehle zu erteilen, bis zum Einbruch der Dämmerung zügeln. Er überlegte, jemanden einzustellen, der das Gelände in Ordnung halten und ihm beim Tagesgeschäft helfen konnte, da er nicht besonders gern arbeitete, und immer weniger gern, je älter er wurde. Eines Morgens stellte sich ein junger Mann vor, sein Bündel auf dem Rücken. Er war zwanzig Jahre alt und kräftig, hatte keine Familie. Er sagte, er heiße Wilson.
    »Wilson was? Wilson wer?«
    »Wilson.«
    Séraphon schaute ihn prüfend an, vom struppigen roten Schopf bis zu den Füßen, die genauso riesig waren wie seine Hände. Er beschloss, ihn auf Probe zu nehmen.
    Zur Unterbringung sollte der Schuppen bei den Bahngleisen dienen. Séraphon stellte ihm Holz zum Heizen, eine Mahlzeit am Tag, Decken und Laken in Aussicht, ansonsten sollte der Lehrling allein zurechtkommen. Wilson nahm an. Er legte ohnehin Wert darauf, sagte er, möglichst oft selbst zu kochen, und bezeichnete sich als einen ausgezeichneten Cook . Seine einzige Bedingung war, dass Séraphon den Schuppen in seiner Abwesenheit nicht betreten durfte: Er sollte ihn ausschließlich für sich haben. Séraphon erwiderte, das sei für ihn selbstverständlich. Er schlug den denkbar niedrigsten Lohn vor, für den man ihn nicht verlachen würde, und welch Wunder, Wilson erklärte sich damit zufrieden. Die Sache war besiegelt. Der Junge fing noch am selben Tag an.
    Wilson zeigte sich als ein Adept, wie

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