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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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der Blick des Hauptmanns an der Soutane des Direktors haften, der versteckten Spott darin wahrnahm. Wären sie kleine Jungen gewesen, hätte Gandon ihm mit der Faust eins auf die Nase gegeben.
    Der Direktor hatte das unbestimmte und unangenehme Gefühl, in Frauenkleidern zu stecken. Während des Krieges hatte er einmal nachts von einem Essen mit Militärs und Magistraten geträumt. Alle trugen festliche Abendgarderobe, er tanzte quietschfidel auf einem Bein, die Hand zum Hahnenkamm auf den Kopf gesetzt, und trällerte: »Ich hab’ ein Kleid! Ich hab’ ein Kleid!«
    Der Direktor verscheuchte die Erinnerung.
    Währenddessen richtete der Hauptmann einen fragenden Blick an die Lehrerin, der zu besagen schien: »Kann ich vor ihm sprechen?« Clémentine zögerte, dann nickte sie. DerHauptmann wartete einige Augenblicke aus Freude, sie an seinen Lippen hängen zu sehen. Gandon schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
    »Ich sage es Ihnen, weil Sie es sind. Ich habe Neuigkeiten, was Ihre Jungs angeht. Unter Vorbehalt natürlich, noch ist nichts bestätigt. Ich habe es heute vom Polizeikommissar erfahren, einem guten Freund, der mir sein volles Vertrauen schenkt, Sie verstehen.«
    »Und?«
    »Und an dem Abend, als Sie uns gerufen haben, Fräulein Lehrerin, um Ihre Befürchtungen hinsichtlich des Bankangestellten auf dem Brandgelände zum Ausdruck zu bringen, an diesem Abend will ein Zeuge einen Mann gesehen haben, der … Nun ja, es ist etwas delikat, das vor einer Dame zu sagen.«
    Er atmete tief ein und sprach dann in einem Zug, als wäre der Satz ein einziges langes Wort:
    »Der vor den Kindern die Hose heruntergelassen und dann vor ihnen Dinge mit sich gemacht hat.«
    »Ah!«, rief Clémentine aus. Und wieder: »Ah!«, wie jemand, der in seinem Bett eine tote Ratte entdeckt hat. Sie wandte sich an Gandon:
    »Ich habe es Ihnen gesagt! Ich habe es Ihnen gesagt!«
    Erschrocken über den gegen ihn gerichteten Zorn, trat der Bruder einen Schritt zur Seite, als wolle er sich beim Hauptmann in Sicherheit bringen. Der blieb vollkommen gefasst.
    »Mehr kann ich Ihnen im Moment dazu nicht sagen, denn mehr weiß ich auch nicht.«
    Die Lehrerin war schockiert.
    »Aber warum wird nicht sofort eingeschritten?«
    »Weil das alles noch nicht amtlich ist. Wir haben die Hinweise aus einem anonymen Schreiben, das derPolizeiwache geschickt wurde. Solche Briefe bekommen sie dort massenweise – und wenn man alles glauben würde, was da drinsteht … Jedenfalls wollte ich Sie gerne selbst darüber in Kenntnis setzen.«
    »Hat der Zeuge den Mann erkannt?«, fragte Gandon.
    »Wer soll es denn sonst gewesen sein?«, warf Clémentine ein.
    »In dem Brief wird kein Name genannt«, erklärte der Hauptmann sachlich und im Tonfall professioneller Überlegenheit.
    Zur Lehrerin gewandt fügte er hinzu:
    »Was uns natürlich nicht davon abhält, unsere Vermutungen zu haben.«
    Bruder Gandon wirkte bestürzt.
    »Das bleibt selbstverständlich unter uns. Vorerst bitte ich Sie, mich zu entschuldigen, ich muss meine Inspektion zu Ende führen.«
    Der Hauptmann entfernte sich, ohne dass der Direktor etwas auf seine Verabschiedung erwidert hätte.
    »Bruder, wir müssen etwas unternehmen, wir müssen etwas unternehmen!«
    »Ich muss das mit klarem Kopf überdenken. Wir sprechen am Montag darüber. Bitte entschuldigen Sie mich.«
    Clémentine packte ihn am Ärmel. »Ich bin doch nicht ihr Hund!«, dachte der Direktor gekränkt. Er war die Geduld und Nachsicht in Person, aber er vertrug es nicht, wenn jemand ihn berührte.
    Die Lehrerin war außer Rand und Band. Mit einem heftigen Ruck riss er sich los.
    »Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich doch, Sie gebaren sich ja wie ein Straußentier. Noch ist gar nichts sicher.«
    Gandon senkte verdattert den Kopf. Gott, was hatte er da gesagt …! Ungläubig stand Clémentine mit baumelnden Armen vor ihm. Die Augenbrauen weit nach oben gezogen, starrte sie den Direktor an. Ihr zaghaftes Lächeln wirkte belustigt und flehentlich zugleich. Gandon war vor Verwirrung wie gelähmt. Er hatte ihr einfach nur sagen wollen, dass es nichts half zu dramatisieren. Er hatte das Wort »Schauspieler« im Sinn gehabt! Es war einfach so aus ihm herausgeschossen.
    Clémentine wandte sich von ihm ab. Wankend wartete sie noch eine Weile, als wolle sie ihm eine letzte Chance zum Widerruf geben … Aber Gandon schwieg. Sie eilte laut japsend nach Hause und robbte hastig, ohne sich um Anstand und Würde zu scheren, kopflos wie ein Straußentier und

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