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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Séraphon ihn sich gewünscht hatte. Er konnte gut mit Säge und Axt umgehen, konnte ordentliche Mengen Holz tragen, und die kleinen Geschäftsbetrügereien, Organisations- und Geldsachen erlernte er mit Leichtigkeit. Gegenüber Witwen und Waisen zeigte er sich hartherzig (ein erheblicher Vorteil in dieser Gemeinde), witterte unverzüglich säumige Zahler und war nie um einen Scherz verlegen, vor allem nicht auf Kosten der letzten Kundin, die gerade den Laden verlassen hatte.
    Das Einzige, was das Bild trübte, war sein Geruch. Zwar war Séraphon selbst nicht gerade ein Vorbild an Körperpflege, doch gingen ihre jeweiligen Ausdünstungen eine allzu unglückliche Ehe ein, sie waren so unterschiedlich, wie die Gerüche eines Barbaren und eines Greisen nur sein konnten.Séraphon wechselte seine Unterhose alle Jahre einmal und versetzte dazu, er würde eben kaum schwitzen. Überall sammelte sich bei ihm Staub an, in den Falten, auf den Möbeln, zwischen den Zehen, er raffte auch hier zusammen, was er konnte, und wenn er morgens allein unter seinen Laken erwachte, suhlte er sich in seinem säuerlichen Dunst. Der Geruch der anderen dagegen war ihm ein Graus. Das ging so weit, dass er die Luft anhielt, wenn man sich ihm nur auf drei Schritt näherte. Die Anwesenheit Wilsons, der nach stichigem Fisch roch, war für ihn eine echte Prüfung. Der Lehrling pulte sich bei Tisch die Reste aus den Zähnen, wischte die Hände in den Haaren ab, Fettflecken besprenkelten seine Kleider, und sobald er satt war, gab er hemmungslos, mit gewölbter Brust und dröhnend stolz, einige Rülpser zum Besten. Bisweilen schob Séraphon angewidert den Teller von sich. »Du verdirbst mir den Appetit«, sagte er. Woraufhin Wilson in schallendes Gelächter ausbrach, begleitet von einem Sprühregen von Speichel.
    In den ersten Wochen ließ Séraphon keine Gelegenheit aus, Wilson auszuspionieren. Jeden Abend überprüfte er seine Kasse, vergaß die Schlüssel und tat, als nickte er ein, während die Geldkassette halb offen stand. Wilson fiel auf keine seiner Fallen herein. Séraphon fragte sich schon, was für einem sonderbaren Zeitgenossen er da nun wieder begegnet war. Ehrlichkeit war ihm derart fremd, dass er ihr instinktiv misstraute. Wenn er nachts nicht schlafen konnte, sinnierte er darüber. Er sagte zu sich: »Er wartet noch auf seine Stunde.« Einmal war einem Kunden ein Dollarschein aus der Tasche gefallen, und der Lehrling rannte ihm ganze drei Blocks hinterher, bis zur Rue Dézéry, nur um ihm das Geld zurückzugeben. Séraphon traute seinen Augen nicht. War dieser Wilson krank oderwas? Der Lehrling machte sich wieder ans Sägen der Bretter, als wäre nichts gewesen.
    Je mehr sich Séraphon an Wilsons Anwesenheit gewöhnte, desto stärker quälte ihn das Verlangen, etwas über dessen Vergangenheit zu erfahren. Nichts Persönliches ließ sich ihm entlocken. Manchmal überraschte er ihn beim Schreiben, aber sofort klappte Wilson das Heft zu und schob es sich unters Hemd. Séraphon erkundigte sich bei den anderen Mitarbeitern. Wilson behandelte sie mit verächtlicher Rücksichtslosigkeit, sie waren weit davon entfernt, ihn in ihr Herz zu schließen. »Ein neuer Hund stört die Meute« hieß es nur. Séraphon wandte sich schulterzuckend um.
    Gelegentlich genehmigte Wilson sich ein paar freie Tage, offenbar ohne dass sein Chef etwas dagegen sagen konnte. Er verschwand übers Wochenende, Séraphon wusste nicht wohin, nutzte aber seine Abwesenheit, um seine Hütte nach dem Heft zu durchforsten. Jedes Mal verließ er sie mit leeren Händen.
    Wenn Wilson zurückkehrte, war sein Proviantbeutel vollgepackt mit noch lebenden kleinen Tieren. Er aß für sein Leben gern Wild, sagte er, und wenn er nichts mehr hatte, verzichtete er ganz einfach auf Fleisch. Auf Séraphons Nachfrage hin antwortete er, er könne nur essen, was er auch selbst getötet habe. Das hatte er zum Scherz gesagt, und war in sein einzigartiges kehliges Lachen ausgebrochen, dass sich ihm die Schultern schüttelten. Bei näherer Betrachtung jedoch stellte sich heraus, dass er tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte.
    »Deswegen gehe ich auch nicht zur Kommunion«, sagte er noch.
    Dann lachte er nicht mehr.
    Es ging auf Mitte April zu. Séraphon lief schlotternd über den Hof. Er kam an seinem Lehrling vorbei, der gerade das letzte Holz klafterte, und ohne sich die Mühe zu machen stehenzubleiben, bat er ihn zu sich, um dringende Angelegenheiten zu besprechen.
    »He, Junge! Ich rede mit

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