Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Titel: Die Unbekannten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
sah, wie ihn Samson und Beauty, die Pferde, über die halbhohen Türen ihrer Boxen beobachteten. Beide kauten Heu und wirkten nicht im Geringsten verstört durch die Geschehnisse, die sich hier zugetragen haben mussten, nachdem er ins Haus zurückgekehrt war, um Sachen von seinem Bruder anzuziehen und zu Abend zu essen.
    Henry überprüfte die Box des ersten Pferdes, dann die des zweiten, denn er rechnete damit, die Toten neben den Rössern liegen zu sehen, die sie einst geritten hatten, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie sie dorthin gekommen sein könnten. Die Pferde standen allein in ihren Boxen und keines von beiden hatte einen gefallenen Reiter neben sich liegen.
    Seine Verwirrung wuchs, als Henry sich bestürzt im Kreis drehte und in der Scheune umsah. Die Sorge lenkte seinen Blick auf die Sprossen der Leiter, die zum dunklen Heuboden führte. Aber das war nicht einleuchtend: Wenn die Toten nicht kriechen konnten, dann konnten sie mit Sicherheit auch nicht klettern.
    Eine halbe Minute verging zwischen der Entdeckung, dass die Leichen verschwunden waren, und der verspäteten Erkenntnis, dass er auf der Farm nicht allein sein konnte und dass jemand das ermordete Paar gefunden und von der Stelle bewegt haben musste.
    Henry hatte die Pistole und das Schulterhalfter auf dem Bett liegen lassen. Plötzlich fühlte er sich wie ein Schaf, geschoren und zitternd, das empfindliche Fleisch entblößt, und er unterstellte jedem Schatten, dass er einen Wolf verbarg.
    Er eilte zu dem Werkzeuggestell und nahm die Axt herunter. Sie war schwerer, als er erwartet hatte, und unhandlich. In Jims Händen hatte sie einen tödlichen Eindruck gemacht; in Henrys Umklammerung hatte sie wenig von einer Waffe, sondern fühlte sich eher an wie ein Anker. Dennoch war die Axt das Beste, was er für seine Verteidigung zur Hand hatte, bis er wieder an eine seiner Schusswaffen kam.
    Die Situation schien Verstohlenheit und Vorsicht zu verlangen, doch Henry zitterte unkontrollierbar, atmete schnell und flach und war nicht imstande, sich wieder zu beruhigen. Das verräterische Herz, das er hörte, war weder Jims noch Noras, keine tote Pumpe, die trommelnd Anklage erhob und ihn beschuldigte, sondern sein eigenes lebendiges Herz, das gegen sein Brustbein schlug und nicht etwa seine Morde, sondern stattdessen seine rapide eskalierende Angst verkündete. Im Moment war er ebenso wenig zu Verstohlenheit und Vorsicht in der Lage wie dazu, ohne Gefahr für seine eigenen Finger die Axt zu schwingen.
    Eher verzweifelt als tapfer, eher leichtsinnig als kühn
und mit der Axt in beiden Händen, wie sein Bruder sie gehalten hatte, eilte Henry durch die offene Tür in die Nacht hinaus. Er stürmte über den Weg zu seinem Landrover, der in der Nähe des Hauses geparkt war.
    Wer auch immer sich der Leichen bemächtigt hatte – es konnte kein Gesetzeshüter sein. Die Bullen würden nicht die Leichen von der Stelle bewegen und sie verstecken und dann ihren Hauptverdächtigen peinigen, ohne ihn zu vernehmen. Sein namenloser Gegner verspottete Henry, und wenn sich aus dem Spott kein Spaß mehr gewinnen ließ, würde seine Ermordung folgen.
    Er strauchelte, ließ die Axt fallen, stolperte darüber und ruderte gerade mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten und einen Sturz zu verhindern, als etwas zischend über seinen Kopf flog. Er glaubte, es müsse eine Klinge sein, vielleicht die grauenhafte Sense, die in der Scheune neben der Axt gehangen hatte.
    Als er aufschrie und sich in der Erwartung umdrehte, geköpft zu werden, ragte jedoch niemand hinter ihm auf. Er war allein auf dem Weg, im Mondschein, ein Sklave seines eigenen Grauens.
    Statt die Axt wieder an sich zu bringen, eilte er zu dem Landrover. Als er die Heckklappe öffnete, rechnete er damit, das Fahrzeug leer vorzufinden, aber es war von Wand zu Wand vollgepackt; nichts fehlte, abgesehen von den Koffern mit dem Bargeld, die er bereits auf dem obersten Regal im Kartoffelkeller deponiert hatte.
    Er kramte in der Fracht herum, fand den großen Hartschalenkoffer, den er gesucht hatte, und zog ihn heraus. Er schloss die Heckklappe und drückte auf dem elektronischen
Schlüssel das Symbol für Verriegeln. Er sah sich nervös in der Nacht um, während er das Gepäckstück zum Haus trug.
    Jim und Nora waren kinderlos. Sie lebten allein.
    Erntehelfer hatten sie nur während der Saison. Nach der abgeschlossenen Ernte würden die beiden Hilfskräfte erst im Frühjahr wiederkommen. Sogar während der Saison

Weitere Kostenlose Bücher