Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Lamar, »das Forschungsgebiet gibt es noch nicht mal seit einem halben Jahrhundert. Wenn wir erst einmal eineinhalb Jahrhunderte hinter uns haben und bis dahin nicht vielfältige unbestreitbare Beweise für grundlegende Behauptungen aufgetürmt haben, dann würde ich Ihnen Recht geben, dass wir aufhören sollten, von einer Wissenschaft zu sprechen, und anfangen sollten, es eine Religion zu nennen. Und wir haben natürlich
schon jetzt ziemlich viele Beweise, auf die wir aufgebaut haben.«
    Northcott wusste, worauf sich die eineinhalb Jahrhunderte bezogen, und er wollte Lamar gerade mit spitzen Worten aufspießen, als Agent Palumbo durch den Gang kam, sich an den Sitzen auf beiden Seiten festhielt und vor ihnen auf ein Knie hinunterging.
    »Die geschätzte Ankunftszeit ist in fünfzig Minuten. Der Pilot hatte versiegelte Direktiven für mich. Der Schauplatz befindet sich in den höheren Vorgebirgen der Rockies, in einem ländlichen Gebiet, das keiner Gemeinde angehört, ein privates Wohnhaus im Besitz von jemandem namens Grady Adams. Bei ihm wird sich eine Tierärztin aufhalten, Dr. Camillia Rivers. Beide sind Zeugen, diesmal keine Verdächtigen. Es geht um eine biologische Angelegenheit, doch man hat entschieden, dass Dekontaminations- und Isolationsprotokolle nicht nötig sein werden.«
    »Was für eine Art von biologischer Bedrohung könnte das denn sein? Wie zum Teufel sollte sie aussehen?«, fragte Simon Northcott.
    Palumbo verbesserte ihn: »Sir, in der Direktive ist von einer biologischen Frage die Rede.«
    Northcotts Gesicht wurde verkniffen, und die hohen Punkte seiner Backenknochen und seiner Nase wurden so weiß wie angespannte Knöchel, während sein restliches Gesicht rot anlief. »Ich bin von dieser Konferenz fortgezerrt worden, damit man mich schleunigst an einen Ort fliegt, an dem ich mir Gedanken über eine Frage machen soll?«
    »Sir«, sagte Palumbo, »aufgrund meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass es sich zwar vielleicht nicht um eine Zeitbombe oder ein Himmelfahrtskommando handelt, aber um etwas ganz Enormes. Etwas ganz anderes, das gewaltig sein muss. Es ist urplötzlich aufgetaucht, und D.C. spricht von einem Vorfall von oberster Priorität, was bis jetzt nur eines bedeutet hat – eine drohende Atomexplosion. Paul Jardine ist schon unterwegs zum Schauplatz.«
    Lamar war Jardine in den letzten sechs Jahren mehrfach begegnet. Nach der kürzlich vorgenommenen Neuorganisation war der Mann zum stellvertretenden Leiter des Heimatschutzministeriums für die westliche Hälfte des Landes ernannt worden, vom Mississippi bis zum Pazifik.
    Northcott sagte nichts mehr, wirkte allerdings weder beschwichtigt noch beeindruckt.
    Lamar meinte: »Entschuldigen Sie bitte, Agent Palumbo, aber bei dem Motorenlärm und den Rotoren … ich habe nicht alles mitgekriegt, was Sie über den Besitzer des Hauses und über den Schauplatz sagten. Wie war doch sein Name?«
    »Adams, Sir. Grady Adams. Die Tierärztin heißt Dr. Camillia Rivers.«
    »In jedem Chaos«, sagte Lamar, »verbirgt sich eine unheimliche Ordnung, die darauf wartet, entdeckt zu werden.«
    »Sir?«
    Lamar sagte: »Ich rede nur mit mir selbst, mein Sohn.«
    »Sir, ab jetzt herrscht Nachrichtensperre, bis das alles vorbei ist. Ich muss Ihr Handy und Ihren Laptop beschlagnahmen. «
    Der Laptop lag vor Lamars Füßen. Sein Handy reichte er dem Agenten.
    »Sir, ich brauche auch jedes SMS-fähige Gerät, das Sie bei sich tragen.«
    »Mein Junge, ich habe nicht mehr genug Lebensjahre vor mir, um auch nur eine Minute mit Simsen zu verbringen. «
    Northcott dagegen erwies sich als eine wandelnde Telekom-Filiale. Verdrossen rückte er zwei Handys und eine Reihe elektronischer Geräte heraus, die sämtliche verfügbaren Taschen von Vincent Palumbos Sportsakko füllten.
    Als sich der Agent wieder nach vorn begab und ihre Laptops mitnahm, sagte Simon Northcott: »Beim Heimatschutz arbeiten nur Idioten. Mir reicht’s. Ich werde meinen Namen von der Liste verfügbarer Spezialisten streichen lassen.«
    Den verständigeren Beamten in der Bundesregierung war klar, dass die Wissenschaftler, die in einem direkten Angestelltenverhältnis für die Regierung arbeiteten, ganz allgemein gesprochen, nicht gerade die brillantesten Köpfe auf ihrem Gebiet waren – mit Ausnahme einiger Leute bei der NASA und an Instituten, die vollständig vom Verteidigungsministerium finanziert wurden. Demzufolge wurden Spezialisten aus zahlreichen Wissenschaftszweigen als Freiwillige