Die unbeugsame Braut
sah, fand sie, dass er ein perfektes Ziel abgab. Sie nahm eine Handvoll Schnee, formte einen Ball und warf nach dem Bruder. »Getroffen!«
George drehte sich um und eröffnete seinerseits eine Schneeballschlacht.
Seine Schwester freute sich wie ein Kind, und ihr frohes Lachen schwebte die Straße entlang. Sie bückte sich, formte einen neuen Schneeball und schleuderte ihn mit voller Kraft in die Richtung des Bruders.
Doch George duckte sich, und das kalte Geschoss traf einen Jungen, der in einiger Entfernung die Straße entlangging. Zu ihrer Überraschung stieß der Bursche einen Freudenschrei aus und nahm die Attacke als Aufforderung, sich an der Schlacht zu beteiligen. Er zögerte nicht, nun seinerseits die junge Lady mit Schneebällen zu bombardieren. Plötzlich erkannte er sie und lief auf sie zu. »Georgy! Ich freue mich ja so, Sie zu sehen!«
»Johnny, bist du es? Was treibst denn du hier in aller Herrgottsfrühe?«
»Ich war die Nacht über bei meinem Vater. Er bringt mich zurück in die Schule.«
»Ach, ich verstehe.« Georgina entdeckte jetzt erst, dass Johnny tatsächlich von seinem Vater begleitet wurde. Ihr Herz flog dem Jungen zu. »Gefällt dir die Schule, Johnny?«
»Ich mag den Unterricht und die Bücher, aber …« Er zögerte. »Die Nächte sind nicht angenehm.«
»Das ist nur zu verständlich.«
»Ich liebe Schnee – hoffentlich bleibt er bis Weihnachten liegen.« Seine eifrige Miene veränderte sich, als ihm einfiel, dass Weihnachten eine traurige Zeit sein würde.
Sie spürte einen Kloß in der Kehle. »Ich freue mich, dass wir uns getroffen haben.«
»Es war schön, Sie zu sehen, Georgy, ich meine – Lady Georgina.«
Sie näherte sich ihrem Bruder, der stehen geblieben war, um mit Russell zu sprechen. Sie hörte George sagen: »Bitte, nehmen Sie mein Beileid zu Ihrem Verlust entgegen.«
»Danke, Huntly«, erwiderte Russell knapp.
Seine dunklen Augen schweiften nur einen Moment über Georgina, doch spürte sie, dass er das Abendkleid unter ihrem Samtmantel sah und nun wusste, dass sie sich die ganze Nacht amüsiert hatte. Dann gingen Russell und Johnny weiter. Sie ärgerte sich, dass ein flüchtiger Blick von ihm genügte, um ihr Herz schneller schlagen und ihren Puls rasen zu lassen. Und das, obwohl ihr klar war, dass er sie offensichtlich gründlich missbilligte.
»Der Ärmste!«, sagte George.
»Bemitleide ihn nicht, um Himmels willen. Das ist das Allerletzte, was er möchte.«
»Er scheint nie zu lächeln.«
»Er gehört zu den Menschen, die ihre Gefühle verbergen«, beruhigte sie ihren Bruder.
Georgina spürte allmählich die Kälte und beschleunigte ihren Schritt. Zeit, ins Warme zu kommen. Als die Geschwister vor ihrem Haus an der Pall Mall anlangten, ließ George sie allein die Stufen hinaufgehen.
»Bist du noch nicht reif fürs Bett?«, fragte sie erstaunt.
Er sah sie mit rätselhaftem Lächeln an. »Doch, bin ich, aber nicht für dieses hier.«
Du hast also doch irgendwo ein Frauenzimmer versteckt. Wenn ich nicht so kalte Zehen hätte, würde ich dir folgen.
Als John Russell und sein Sohn die Tore der Westminster School erreichten, sagte Johnny in leicht trotzigem Ton: »Lady Georgina gefällt mir. Sie ist immer so …« Er fand nicht die richtigen Worte.
»So lebendig?«, schlug sein Vater vor.
»Ich …, ich wollte nicht respektlos gegenüber Mama sein«, murmelte er.
»Das weiß ich, mein Junge. Der Schnee erinnert mich daran, dass Weihnachten bevorsteht. Dein Onkel Francis feiert das Fest immer auf Woburn, und deine Brüder sagten, sie würden dort gerne ihre Schulferien verbringen. Was hältst du von Woburn?«
»Wirst du da sein?«
»Ich werde bis kurz vor Weihnachten dort sein, dann aber möchte ich nach Tavistock. Im Laufe der Jahre ist es zur Tradition geworden, dass ich um diese Zeit bei meinen Wählern bin, bei all den fleißigen, redlichen Menschen, die sich freuen, das Weihnachtsfest nach alter Tradition zu begehen.«
»Könnte ich … würdest du …« Johnnys Stimme verlor sich, als wären alle seine Hoffnungen aussichtslos.
»Ob ich dich mitnehmen würde?«, beendete der Vater den Satz anstelle seines Sohnes. »Wenn du glaubst, dass du lieber mit mir nach Tavistock fährst, anstatt bei deinen Brüdern auf Woburn zu bleiben, nehme ich dich natürlich mit.«
»Ich bin dort am glücklichsten, wo du bist, Papa.«
Tief gerührt legte John den Arm um seinen Sohn und zog ihn an sich.
War die gesellschaftliche Szene schon im November
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