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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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potenziellen Partner für die Praxis aufsuchen. Das könnte hinhauen. Und ein Hotel, sie beide, über Nacht, das klang nicht übel. Vielleicht verarschte ihn Monique immer noch, aber eine Chance bestand immerhin.
    Geht das?, fragte er den Piloten schließlich. Könnten wir in Seward bleiben und morgen abgeholt werden?
    Klar, ich seh da kein Problem, sagte der Pilot. Gegen Aufpreis natürlich.
    Gary arbeitete den ganzen Vormittag allein und lud weiter Baumstämme auf. Für eine kleine Hütte war das irgendwie entsetzlich viel Holz. Aber er hatte es selbst berechnet.
    Endlich unterwegs, über den See an einem sonnigen Nachmittag, leichte Brise, ideales Wetter. Ein bisschen Gischt von kleinen Wellen, die er frontal brach. Er stand achtern, Gashebel oben, und er war gern dort, machte das gern. Die Luft war knackig und klar.
    Als die Insel näherkam, schwenkte er in einem Bogen und fuhr die Küste an. Fiel nach vorn auf die Stämme, als das Boot unter Wasser auf Felsen traf, fing sich aber mit den Händen ab.
    Er schaltete den Motor aus, kletterte nach vorn und fing an, über die Klappe zu entladen, schleifte einen Stamm nach dem anderen heraus und platschte damit durchs Wasser. Es war nicht schwierig, eine angenehme Arbeit.
    Gary hatte körperliche Arbeit schon immer gemocht, Bauen als Gegengewicht zur akademischen Arbeit. Er schätzte Vonneguts Gedanken – eigentlich Max Frischs Gedanke –, dass wir Homo faber heißen sollten statt Homo sapiens . Wir leben, um zu bauen. Das macht uns aus. Das stimmt, dachte er. Sich etwas auszudenken, es im Kopf zu bewegen, in Träumen immer und immer wieder zu durchschreiten und es dann in der wirklichen Welt umzusetzen. Nichts ist befriedigender.
    Gary schleppte die Stämme an Land, bis sie alle gereiht und geschichtet dalagen. Mit einem Spaten in der Hand stapfte er durchs niedrige Gesträuch zumBaugrundstück. Er würde es ganz schlicht halten. Er würde einfach nur den Boden hier in einem Rechteck freischlagen, planieren und die ersten Stämme ein Stück in die Erde graben. Kein weiteres Fundament, weil das nicht notwendig war. Es ging darum, eine Hütte zu bauen wie in früheren Zeiten. Kein Betonsockel, keine Genehmigung. Die Hütte selbst Ausdruck eines Mannes, ein Abbild seines Willens.
    Er sah auf den See, prüfte die Aussicht, prüfte den Winkel, ging einige Schritte hierhin und dorthin, damit es auch passte, dann stach er den Spaten in die künftige Mitte. Der Spatenstich, sagte er. Endlich. Nach rund dreißig Jahren. Wie zum Teufel passiert so was?
    Dann schritt er zwei Meter fünfzig zur einen Seite ab, machte eine Markierung und schritt zwei Meter fünfzig zur anderen Seite ab. Eine Hütte von fünf Metern Länge, und vier Meter breit würde er sie machen. Ohne Maßband. Einfach abschreiten. Anhand der markierten Seiten machte er Ecken.
    Okay, sagte er, als er wieder in der Mitte stand. Seine linke Schulter tat weh, eine Schleimbeutelentzündung, die immer wieder auflebte, wenn er arbeitete. Er wanderte zu einer Fichte und stemmte die Hand dagegen, um seine Schulter kräftig zu dehnen. Dann dehnte er Arm und Schulter der anderen Seite und dehnte auch gleich die Beine ein wenig. Er fing so spät im Sommer mit diesem Projekt an, er konnte sich keine Verletzung leisten. Alles musste glatt laufen. Es war bereits Mitte August. Er hatte Ende Mai loslegen wollen.
    Er wanderte zurück zur Baustelle und räumte dastote Holz beiseite, warf Zweige und auch ein paar Steine fort. Dann fing er an zu graben. Dunkle Erde, locker und satt, aber so viele Ausläufer und Wurzeln, dass er nie eine volle Schaufel erwischte. Eine Harke wäre vielleicht hilfreicher gewesen. Irgendetwas, um dieses ganze Zeug rauszurupfen. Er hatte gute Handschuhe, also kniete er sich hin und harkte mit den Händen, zog und riss und musste feststellen, dass das alles widerstandsfähiger war als erwartet. Störrische kleine Biester, sagte er.
    Er stand auf und versuchte es wieder mit dem Spaten, benutzte ihn als Hacke. Das schien zu funktionieren. Also hackte er an den Außenabmessungen der Hütte entlang, die gesamte Markierung, während ihn jetzt die Mücken plagten, überall auf Gesicht und Hals, und ihn bei der Arbeit behinderten, weil er so oft nach ihnen schlagen musste.
    Er ließ sich auf die Knie sinken und zog das Geflecht heraus, das er freigehackt hatte, doch einiges saß noch immer fest, also hackte und grub er wieder mit dem Spaten, die gesamte Fläche eigentlich eine dichte Flechtenmatte, und er

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