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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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mal für ein, zwei Tage. Sie waren noch nirgendwo hingefahren.
    Jim kam endlich an die Reihe, zwei Karten für eine dreistündige Tour durch die Resurrection Bay und den Kenai Fjords National Park. A three-hour tour, sang er leise in Anspielung auf Gilligan’s Island , aber die Frau hatte das schon rund eine Million Mal gehört, also keine Reaktion.
    Als Jim Monique fand, stand sie staunend vor einem schwarzen Samtplakat mit Bären und Weißkopfseeadlern. Das ist unglaublich, sagte sie. Tiefer kann Kunst nicht sinken. Das muss ich unbedingt haben.
    Okay, sagte Jim und kaufte ein riesiges Samtplakat von einem Braunbären, der gerade einen Lachs fängt.
    Damit pflegst du das kulturelle Erbe, sagte Monique. Immerhin. Sie nahm seinen Arm, lachte über Alaska und Touristen, und dann gingen sie mittagessen.
    Schon von der Berührung seines Arms bekam Jim einen Steifen. Ihm wurde bewusst, dass er noch nie jemanden so heftig begehrt hatte. Selbst in der Schule hatte er keinen solchen Drang gespürt, und jetzt war er einundvierzig. Er hatte nicht geahnt, dass er überhaupt noch so empfinden konnte. Sex mit Rhoda alle paar Tage war gerade noch so drin. Erneut spekulierte er über Moniques Alter. Er tippte auf Anfang zwanzig, wusste es aber nicht. Sie wirkte sehr viel jünger als Rhoda, und die war dreißig.
    Sie ergatterten einen Tisch auf der Hafenmole und bestellten Austern, Heilbutt und Champagner. Jim aß normalerweise keine Austern, wegen der Magensäcke. Er versuchte, überhaupt nichts mit Magensack zu essen. Aber Monique drängte ihn zu probieren, und es war wirklich nicht so übel. Er schmeckte in erster Linie die Butter, und das Tabasco brannte ihm auf den Lippen. Er kaute nicht viel. Eher ein Schlucken.
    Erzähl mir Geschichten von Alaska, sagte Monique. Vielleicht, wie du mal knapp einem Bären entronnen bist.
    Was ist denn mit dir?, fragte Jim. Von dir weiß ich praktisch gar nichts.
    Ich bin langweilig, sagte Monique. D. C., beeindruckende Eltern, gute Schulen, weder Ziele noch Visionen.
    Wie alt bist du?, fragte er.
    Alt genug, sagte sie, und wenn du mich vögeln willst, musst du jetzt mit dem Fragen aufhören.
    Entschuldigung, sagte er.
    Und jetzt der Bär.
    Es war an einem Fluss. Demselben Fluss, an dem ich meinen ersten Königslachs gefangen habe, als ich etwa zehn war oder noch jünger. Ich weiß nur noch, dass der Fisch größer war als ich. Ich war eins zwanzig und der Fisch eins fünfundzwanzig. Ich habe eine Stunde lang mit dem Ding gekämpft, wurde in den Fluss gezogen, versuchte, im Flachen zu bleiben. Ich trug Watstiefel und hatte Angst, unterzugehen, aber mein Dad hat mich festgehalten.
    Ach, sagte Monique. Du warst bestimmt ein süßer Junge.
    Blondes Haar, blaue Augen, voller Charme, sagte Jim.
    Monique lächelte.
    Also, Jahre später an demselben Fluss, sagte Jim. Da war ich Anfang zwanzig, bin aus alter Erinnerung noch mal hin, um an derselben Stelle zu fischen, aber diesmal allein, was ein absolutes Tabu ist, und es war bereits Spätsommer, wo die Bären etwas ungeduldiger werden, und als ich einen Lachs gefangen hatte, nahm ich ihn aus und hängte ihn an meinen Rucksack, um weiterzufischen.
    Nein, sagte Monique.
    Doch, da hing er an meinem Rucksack, knapp ein Meter glänzender, riechender, ausgenommener Lachs, baumelte an meinem Rücken, während ich angelte. Ich war der reinste Bärenköder.
    Monique schüttelte den Kopf.
    Und da höre ich etwas hinter mir, ein heftiges Platschen, drehe mich um und sehe einen riesigen Braunbären. Einen Grizzly. So einen, der Menschen frisst. Kommt durchs Wasser auf mich zugedonnert und bleibt stehen. Und mir wurde klar, dass der Lachs auf meinem Rücken jetzt vor dem Bären verborgen war, als würde ich ihm Essen vorenthalten.
    Und dann?
    Den Rest erzähle ich dir später, sagte Jim.
    Monique boxte ihm an den Arm. Sie hatte eine gute Reichweite über den Tisch hinweg. Wichser, sagte sie so leise, dass niemand es hören konnte.
    In Alaska muss man sich seine Geschichten verdienen, sagte er grinsend.
    Mal sehen.
    Wir haben noch eine Stunde vor der Rundfahrt, sagte er mit Blick auf seine Uhr.
    Lass uns shoppen gehen. Ich hätte gern High Heels und vielleicht eine Krawatte. Das sagte sie mit einem so verruchten Lächeln, dass Jim fürchtete, ohnmächtig zu werden.
    Nachdem er gezahlt hatte, suchten sie entlang des Hafendamms einen Laden, und Monique fand ein Paar schwarzer Pumps, die ihr gefielen. Magst du?, fragte sie.
    Klar, sagte er. Irgendwie sexy mit Jeans.

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