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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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Produkte zu konzentrieren?
    Am 10. Januar 2011, meinem ersten Arbeitstag, betrat ich die Londoner Niederlassung im River-Court-Hochhaus in der Fleet Street 120. Ich hatte den Rat meines Freundes Phil beherzigt und mir eine wetterfeste marineblaue Barbour-Jacke geleistet, die alle Expats in der Londoner City trugen.
    Ich war bis drei Uhr morgens aufgeblieben, um eine Marktanalyse zu schreiben. Ich wollte den europäischen Niederlassungen deutlich signalisieren, dass ich da war. Ich wollte von Anfang an eine gewisse Sichtbarkeit, aber ich wollte auch die Botschaft rüberbringen, dass ich hier war, um zu helfen. Ich war da, um einen Geschäftsbereich aufzubauen. Nicht, um irgendjemandem Umsatz wegzunehmen. Mit verquollenen Augen ging ich um sieben Uhr zur Arbeit. Ich trug meine Glücksbringer-Krawatte, ein leuchtend oranges Hermès-Teil mit einem kleinen schwarzen Fisch darauf.
    Um 7 : 30 Uhr fand das morgendliche Briefing statt. In New York erfolgte dieser Überblick über die wichtigsten Aktionspunkte des Tages über die Lautsprecheranlage. In London versammeln sich alle in einem der Partner-Büros am Rand des Handelssaals. Passend zu der rastlosen, fiebrigen Betriebsamkeit in der Londoner Niederlassung hatte auch das Briefing einen aggressiven Tonfall, den ich von New York so nicht kannte. In London schien die wichtigste Frage zu sein: Wie können wir Kunden dazu bringen, das zu tun, was unseren Tradern einen maximalen Profit einbringt?
    Die ersten Wochen rauschten an mir vorbei. Ich musste weiterhin meine Analysen veröffentlichen. Sie waren meine Visitenkarten – eine Möglichkeit für meine Kollegen im Büro, mich besser kennenzulernen. Ich musste mich mit den Systemen, der Infrastruktur, den rechtlichen Problemen vertraut machen. Welche Unterschiede in den Steuervorschriften bestanden zwischen Deutschland, Frankreich und Dubai? Es war so, als würde ich versuchen, an einem Hydranten Wasser zu trinken. Es gab eine solche Fülle an Informationen. Ich musste meine Zeit sehr systematisch einteilen. Konzentrier dich auf die wichtigen Dinge, sagte ich mir.
    Zu allem Überfluss musste ich mich auch noch auf die FSA-Händlerprüfung vorbereiten, das europäische Gegenstück zur «Series 7»-Prüfung der SEC (die Financial Services Authority ist die britische Finanzaufsichtsbehörde). Ich konnte es nicht glauben. Zehneinhalb Jahre nachdem ich die «Series 7»-Prüfung abgelegt hatte, musste ich mich wieder daranmachen und eine Liste obskurer Vorschriften im Umfang eines Telefonbuchs auswendig lernen, denen ich nach der Prüfung vermutlich nie mehr begegnen würde. Die Managing Directors lagen mir ständig damit in den Ohren: «Wann können Sie die Prüfung ablegen?» Es führte kein Weg daran vorbei, da ich sonst offiziell keine Verhandlungen mit Kunden in Europa führen durfte.
    Sonntags und manchmal auch unter der Woche begab ich mich auf Wohnungssuche. Die ersten zehn Wohnungen, die ich mir ansah, waren – gelinde gesagt – ziemliche Bruchbuden, dafür doppelt so teuer wie in New York. Aber mit Nummer elf landete ich dann einen Volltreffer: eine fünfundsiebzig Quadratmeter große Maisonettewohnung in den oberen Etagen eines viktorianischen Hauses in Belsize Park, einem Viertel unmittelbar südlich von Hampstead Heath, das ziemlich angesagt war, seitdem Gwyneth Paltrow und Chris Martin (von Coldplay) hierhergezogen waren.
    Ich war sofort begeistert. Die Wohnung war kürzlich renoviert worden, und alles war weiß und modern, mit großen, hellen Fenstern und Dachfenstern im Obergeschoss. Außerdem war das Vermieterehepaar auf eine geniale Idee gekommen: Warum die vier Meter breite Wand des Wohnzimmers nicht als Großbildleinwand nutzen? Statt einen Fernseher im Wohnzimmer aufzustellen, installierten sie einen High-Definition-Projektor an der Decke. Ich lud Leute zu Kinoabenden, zu Übertragungen von Rugby-, Cricket-und Football-Spielen ein. Es war wirklich ein Vergnügen, jeden Abend nach Hause zu kommen.
    Zur Arbeit zu gehen war stressiger.
    Während meiner ersten Woche in London hatte Daffey vor einem dichtgedrängten Auditorium von Vice Presidents im siebten Stock des River Court ein Referat über die interne Studie zum Thema «Geschäftspraxis» gehalten, an der Goldman Sachs ein Jahr lang gearbeitet hatte und die im Januar 2011 gerade erschienen war. Die Teilnahme war Pflicht. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber ich hielt die Studie für wichtig. Sie war eine Gelegenheit, kritisch die eigene Position zu

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