Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
reflektieren. Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag auf den Themen Interessenkonflikte, Kundenbetreuung, strukturierte Produkte und Transparenz. Doch Daffey spulte das Ganze völlig mechanisch ab. Er verlas eine Reihe von Ergebnissen und ging kaum einmal ins Detail. Ich war enttäuscht. Er war für mich immer ein «Kulturträger» gewesen. Er hätte die Gelegenheit nutzen können, um die rund tausend Vice Presidents, die anwesend waren, den Weg in die Zukunft zu weisen. Er hätte sagen können: «Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht, und unser Ruf hat gelitten. Zeigen wir den Kunden durch vorbildliches Handeln, dass wir aus unseren Fehlern gelernt haben.» Aber nichts dergleichen.
Ich wollte gewiss keine Bergpredigt hören oder so etwas, aber ich wollte wenigstens spüren, dass er die Sache ernst nahm, von der er da sprach. Ich weiß nicht, woran es lag, ob Daffey einfach nur frustriert war, dass Goldman Sachs so tief gesunken war, um sich derart rechtfertigen zu müssen, oder ob er der Meinung war, dass das Ganze nur ein schlechter PR-Gag war. Ich fragte mich, was aus dem Daffey geworden war, mit dem zusammen ich beim großen Blackout 2003 im Handelssaal des One New York Plaza die Stellung gehalten hatte.
Als er nach dem Vortrag durch den Mittelgang ging, rief ich ihn an: «Daffey.»
Er drehte sich um. «Hey, Mann, willkommen!», sagte er. Er gab mir die Hand. Da ein weiterer amerikanischer Vice President ganz in der Nähe stand, plauderten wir ein paar Minuten über NCAA-Basketball. Dann war Daffey auch schon verschwunden, zurück in seinem Refugium.
In meiner ersten Woche in London wurde ich mit einer Bezeichnung für Kunden konfrontiert, die noch weitaus zynischer und feindseliger klang als «Kontrahent». Ein junger Associate, den ich gerade erst kennengelernt hatte – sicher höchstens vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt –, erzählte mir von einem Geschäft, das er gerade unter Dach und Fach gebracht hatte.
«Mein Muppet von Kunde hat sich für den Trade, den wir gerade durchgezogen haben, keine Vergleichsangebote eingeholt, sodass wir an ihm noch schlappe 1,5 Millionen Dollar mehr verdient haben als sowieso schon.» Damit meinte er, dass der Kunde Vertrauen gehabt und den Kurs nicht bei anderen Maklern gegengeprüft hatte. Der Verkäufer hatte ihm de facto zu viel berechnet. Dabei war dieser Associate keineswegs ein auf Abwege geratenes schwarzes Schaf. Sein Chef saß nämlich direkt neben ihm, lächelte dazu und nickte alles ab.
Die Zeiten hatten sich geändert. Als ich noch Associate war, wäre man dafür ins Büro eines Partners zitiert und ernsthaft verwarnt worden – vielleicht sogar gefeuert. Ein solches Verhalten wäre als Verstoß gegen den bewährten Grundsatz der Firma gewertet worden, dass man Kunden früher oder später verliert, wenn man nicht stets ihr Bestes im Auge hat.
Heute hatten Nachwuchskräfte keinen Anreiz mehr, die Bedürfnisse des Kunden zu erfassen, sondern sollten lediglich Geschäfte zum Abschluss bringen – so viele und so schnell wie möglich. Ein solcher junger Mitarbeiter wird heutzutage in aller Regel belobigt und gilt als «hungrig» oder als «Killer».
«Muppet» war ein Wort, das für mich Kindheitserinnerungen an niedliche Stoffpuppen wie Kermit den Frosch heraufbeschwor. Aber so, wie dieses Wort in Großbritannien verwendet wurde, hatte es nichts Niedliches mehr an sich. Es bedeutete vielmehr «Trottel» – eine Marionette, die von jemand anderem manipuliert wurde. Schon kurz nach meiner Ankunft in London war ich schockiert, wie oft Kollegen und Führungskräfte Kunden «Muppets» nannten. Ich fragte mich, woher diese verächtliche Einstellung kam. Glaubten die Leute, der Kunde wäre wirklich dümmer als sie? Und das war die Rechtfertigung dafür, dass man ihn einfach ausnehmen durfte?
In den ersten Monaten hörte ich immer wieder, wie Kunden mit diesem Namen belegt wurden. Ein Kunde wurde als «Muppet» tituliert, weil er so dumm war, den Bloomberg-Datenservice für Echtzeit-Preisinformationen nicht zu nutzen (weil Bloomberg dafür viel Geld kassiert). Als sein Verkäufer bei Goldman daher ein Wertpapiergeschäft ausführte, nannte der ihm einfach einen Preis, der fünfzehn Minuten alt war – den Preis nämlich, den der Kunde auf seinem Daten-Laufband sah, das nicht dem neuesten Stand der Technik entsprach. Der Verkäufer sah natürlich die Echtzeitdaten auf seinem Bloomberg, als er die Order ausführte. Die Differenz zwischen dem
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