Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Ausblick auf den Duomo, wo Napoleon zum König von Italien gekrönt worden war. Am Abend gingen wir mit einem unserer größten italienischen Kunden essen und genossen ein exzellentes viergängiges Menü im Antico Ristorante Boeucc, einem der ältesten und besten Speiselokale in der Stadt. Wir ließen es uns gutgehen.
Am nächsten Tag trafen wir unsere sämtlichen fünf Kunden in Mailand: Hedgefonds, Investmentfonds und eine Versicherungsgesellschaft. Jeder verwaltete über eine Milliarde US-Dollar. Die Gespräche mit ihnen stimmten mich optimistisch, weil sie mir verdeutlichten, dass der Geschäftsbereich, den wir meines Erachtens ziemlich leicht erschließen konnten, für die Kollegen in Europa einfach noch Terra incognita war.
Von Mitte Februar bis Ende Mai war ich fast ununterbrochen auf Reisen. Ich flog nach Paris, Frankfurt, München, Kopenhagen, Zürich, Genf und noch einmal nach Mailand. Auf einer Reise im April flog ich an einem Donnerstagabend nach Paris, wo ich freitags eine Reihe von Meetings hatte, am Sonntagabend flog ich nach Hongkong, wo ich montags zwei Termine hatte (und außerdem bei der dortigen Goldman-Niederlassung vorbeischaute). Noch am selben Abend flog ich nach Singapur, aß mit zwei Managing Directors von Goldman Sachs im Ritz Carlton zu Abend und ging anschließend ins futuristische Marina Bay Sands, einem neuen, spektakulären Hotel-und-Kasino-Komplex direkt am Strand, mit seinem sogenannten «Sky Park» und einer «Sky Bar» mit einem riesigen Pool auf der Dachterrasse mit Ausblick auf den gesamten Stadtstaat. Am Dienstag besuchte ich fünf verschiedene Kunden in Singapur. Am selben Abend flog ich nach Dubai, zu einer Konferenz für vermögende Privatpersonen – so vermögend, dass auch Lloyd Blankfein eingeflogen war. Am nächsten Morgen flog ich zurück nach London.
Die Reise war anstrengend gewesen, aber aufregend. (Was mir mehr zu schaffen machte, war die destruktive Atmosphäre in der Londoner Niederlassung.) Auf den Reisen lernte ich sehr viel. Es gab große Unterschiede bei den einzelnen Kundenstämmen, und die nationalen Eigenheiten kamen fast allzu klischeehaft zum Tragen. Die deutschen Kunden zum Beispiel waren sehr höflich und risikoscheu. Bei einem Meeting saßen sie einfach nur schweigend da und nickten mit den Köpfen. Ein Kollege in London, ein Quant, erzählte mir, am schlimmsten sei für ihn ein Treffen mit einem deutschen Großkunden gewesen: Er habe vor zwanzig Leuten einen zweistündigen Vortrag über Derivate gehalten, und alle hätten sie höflich dagesessen und genickt, sogar hin und wieder gelächelt. Am Schluss habe er gefragt: «Haben Sie irgendwelche Fragen oder Anmerkungen?» Schweigen. Dann habe der wichtige Kunde, der am Kopfende des Tisches saß, dem Quant gesagt: «Übrigens handeln wir hier nicht mit Derivaten.»
Die französischen Kunden waren ganz anders – sie glichen alle ein wenig dem «fabelhafte Fab». Sie prahlten gern: Sie rühmten sich ihrer Klugheit, Kultiviertheit und ihres Durchblicks. Der französische Markt war absolut «overbrokered», wie es auch heißt. Wenn die Kunden zehn verschiedene Banken hatten, mit denen sie ihre Geschäfte tätigten, dann teilten sie ihr Auftragsvolumen natürlich auch auf die zehn Banken auf. Die Märkte waren rasch gesättigt, und jede Bank erhielt nur ein schmales Stück vom Kuchen.
Manchmal habe ich dadurch bei neuen Kunden einen Fuß in die Tür bekommen, indem ich Senior Partner aus New York hinzuzog. Unsere Meetings waren einerseits erfreulich und andererseits frustrierend. Erfreulich, weil das Geschäftspotenzial da war, frustrierend, weil die Kunden frustriert waren. Kunden in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland betonten immer wieder: «Goldman Sachs ist nicht kundenfreundlich. In guten Zeiten kämpft ihr um die profitablen Aufträge, aber als wir euch in der Krise brauchten, wart ihr nicht für uns da. Und jetzt, wo wir Standardprodukte kaufen wollen, macht ihr uns das unglaublich schwer. Ist euch das nicht profitabel genug?»
Eine große Hürde, die wir jetzt errichteten, waren die umfangreichen Vertragsunterlagen. Selbst bei einem so einfachen Produkt wie Aktienoptionen sagten wir dem Kunden: «Sie müssen dieses achtundfünfzigseitige Dokument ausfüllen», während jede andere Bank sagte: «Unterschreiben Sie bitte dieses einseitige Formular.» Es war für Kunden viel einfacher, mit den anderen Banken Geschäfte zu machen.
Ich nahm mir vor, das schnellstens zu ändern, und mit ein
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