Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
bisschen Hilfe aus New York gelang es mir auch. Bis zum Sommer hatte ich aus den achtundfünfzig Seiten eine gemacht, und ich gewann jede Menge neue Kunden. Es genügte, einen kleinen Ausschnitt des Geschäfts, den sich seit Jahren niemand so genau angesehen hatte, aus einer neuen Perspektive zu betrachten, um Goldman Sachs wieder attraktiv für Kunden zu machen. Einige Leute in der Firma waren beeindruckt: «Wow, ich kann nicht glauben, dass uns das in zehn Jahren nicht aufgefallen ist.» Andere sagten erwartungsgemäß: «Das ist super, aber das sind keine Elefanten-Geschäfte. Das ist Taschengeld, keine Goldgrube.» Pauschale Courtagegebühren machten einen nicht zum «Stud» (zum Hengst) oder zum «Rockstar», wie die entsprechenden Mitarbeiter gern tituliert wurden – in E-Mails oder im Handelssaal.
«Gut gemacht, Stud.»
«Du bist ein Rockstar, Mann.»
«X hat einen Superstich gemacht.»
«Y hat den Vogel abgeschossen.»
«Z hat Big Trades eingelocht.»
Aufgrund der Staatsschuldenkrise und der dadurch ausgelösten Turbulenzen auf den europäischen Märkten sahen sich europäische Investoren nach stabileren Anlagemöglichkeiten um. Ihr Blick wandte sich meinem Geschäftsfeld, den Vereinigten Staaten von Amerika, zu. Ich sah, dass es in Europa tonnenweise «Dry Powder» gab – ungenutztes Kapital von Kunden, das darauf wartete, investiert zu werden. Und die Kunden, die sich an strukturierten Produkten die Finger verbrannt hatten, wollten jetzt in transparente, börsennotierte Instrumente investieren. Geschäfte, die niemanden vom Hocker hauen würden, aber über die nächsten zehn Jahre stetige und ordentliche Erträge abwerfen würden.
Aber um dieses Vorhaben umzusetzen, musste ich die Partner davon überzeugen, dass meine Londoner Kollegen ihre Einstellung ändern müssten. Ich verbrachte den größten Teil des ersten Jahres in London damit, überall meine Botschaft zu verkünden: «Das ist ein wichtiges Geschäft. Aus den Einnahmen können wir Miete und Strom bezahlen. Aber vor allem müssen wir es unseren Kunden zuliebe tun.»
Hin und wieder fand ich Gehör. Meistens aber nicht.
Nach meiner Rückkehr von einer besonders langen und erfolgreichen Geschäftsreise teilte ich Georgette als einer meiner Vorgesetzten in einer E-Mail mit, dass ich mit ihr gern über einige der Meetings sprechen würde. Zu meiner Überraschung kam sie zu meinem Schreibtisch und sah mir ins Gesicht. Sie lächelte nicht. «Niemand will sich so dringend mit mir treffen wie du», sagte sie. «Im Allgemeinen unterhalte ich mit meinen Mitarbeitern nicht öfter als einmal im Monat. In Zukunft beschränk deine Kommunikation mit mir auf eine einzeilige E-Mail, in der du mir das Auftragsvolumen und unsere Gewinnspanne mitteilst.»
Ehe ich mich versah, waren meine ersten sechs Monate in London vergangen. Im Juni flog ich zurück nach New York, um mit einigen Partnern zu sprechen und ihnen meine Einschätzung mitzuteilen. Sie alle waren sehr gespannt darauf zu hören, wie es in London so war.
«Wie sieht es mit der Firmenkultur dort aus?», fragte der erste Partner, mit dem ich mich traf. Ich nahm kein Blatt vor den Mund. Ich sagte, es herrsche klar eine Trading-Mentalität vor. Die Mitarbeiter seien in erster Linie daran interessiert, Geld für die Firma zu verdienen. Der Partner hatte viel Zeit in London verbracht, und er stimmte mir zu.
Ein anderer Partner fragte gleich: «Na, sieht es sehr schlimm aus im Londoner Büro?» Als ich ihm meine Einschätzung darlegte, lächelte er ein bisschen. «Die Chefs in London sind bei weitem nicht so kundenorientiert wie wir in New York», sagte er. «Sie beschränken sich darauf, Kunden zu Geschäften zu überreden, statt sich nach ihren Bedürfnissen zu richten.» Er fügte hinzu, dass Michael Sherwood (genannt «Woody»), der Co-CEO von Goldman Europa, und Gary Cohn sich nicht ausstehen konnten. Sie würden kaum ein Wort miteinander wechseln.
Aber als ich mit den einzelnen Partnern über die (nach meinem Dafürhalten) Schwächen der Firmenführung in London sprach, musste ich gleichzeitig denken, dass die Stoßrichtung in New York genau dieselbe war. Der Unterschied zwischen den beiden Standorten bestand im Grunde nur im Sprachgebrauch. Die Art und Weise, wie die Leute in London mit Elefanten-Geschäften prahlten, war gewiss extremer als in New York, aber in New York standen diese Mega-Deals genauso hoch im Kurs.
Wenn man sich in der New Yorker Zentrale im Handelssaal aufhielt und in
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