Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Motivationsschub. Die Überlegung des Managements war: Wenn wir einen unserer erfolgreichen Leute dorthin versetzen, jemanden, der die Unternehmenskultur verkörpert, dann wird es vielleicht besser laufen in London. Es passiert oft, dass erfolgreiche Leute aus ähnlichen Erwägungen heraus ganz plötzlich nach Tokio oder Hongkong transferiert werden. Ricci rief das gesamte Derivate-Team in einem Raum zusammen und sagte: «Ich weiß, dass viele von Ihnen sauer sind. Wenn Sie wissen wollen, auf wen Sie sauer sein sollen, dann kann ich es Ihnen sagen: auf mich. Ich bin derjenige, der die Entscheidung getroffen hat.» Und er sah alle an. Es war ein seltsamer Moment, aber ich war beeindruckt von seiner unverblümten Art. Doch es war auch ein trauriger Moment. Es kommt nicht häufig vor, dass man einen Chef hat, der bei allen so beliebt ist, wie Daffey es war.
Im Juni richtete das Derivate-Team (Sales und Trading gemeinsam) eine Abschiedsparty für ihn aus, im Soho House im Meatpacking District. Der Raum, in dem die Feier stattfand, wurde «The Library» genannt. Es gab dort eine riesige Stereoanlage, aber seltsamerweise keine CDs oder Schallplatten, die man hätte abspielen können. Ich war der Einzige, der seinen iPod dabeihatte, also warf ich mich als Amateur-DJ des Abends in die Bresche. Ich nahm Musikwünsche der Partner entgegen, aber im Großen und Ganzen spielte ich die Musik, die mir gefiel. Nellys «Ride Wit’ Me», «Numb/Encore» von Jay-Z und Linkin Park und «Beautiful Day» von U2 gehörten zu den Songs, die die Leute an diesem Abend zu hören bekamen.
Es waren viele Leute aus der Chefetage da, und alle, ich eingeschlossen, tranken ordentlich. Vielleicht sind an dieser Stelle ein paar Worte über Drogen aller Art bei Goldman Sachs angebracht. In meiner gesamten Karriere habe ich niemals gesehen, dass ein Kollege eine illegale Droge zu sich nahm, weder bei der Arbeit noch auf Partys. Drogen wurden bei Goldman mit Stirnrunzeln, ja sogar mit einem gewissen Abscheu betrachtet. Wer sich mit Drogen abgab, hätte als ausgesprochen unklug gegolten – und unkluge Menschen hielten bei Goldman Sachs nicht besonders lange durch. Disziplinierte Menschen überlebten. Beim Konsum von Drogen erwischt zu werden wäre ein Grund für eine sofortige Kündigung gewesen.
Rauchen: Im New Yorker Büro gab es eine Gruppe von Rauchern, die alle zwei oder drei Stunden vor dem Gebäude eine Zigarettenpause einlegten. Meistens bestand diese Gruppe entweder aus Europäern oder aus Quants (also «quantitativen Analysten») – oder aus europäischen Quants. Die Rauchergruppe des Londoner Büros bestand aus – dem gesamten Londoner Büro.
Alkohol war ein wichtiger Teil der Firmenkultur, wie es an der gesamten Wall Street der Fall ist. Es kam regelmäßig vor, dass man sich mit Kunden betrank. Wichtig war, dass man wusste, wo die Grenze war. Auf Daffeys Party gab es einen Associate, der stark alkoholisiert jedem auf die Nase band, wie sexy er die neue Analystin fand, die nur ein paar Meter weiter weg stand. Ich erinnere mich, dass ich – obwohl ich selbst auch ziemlich betrunken war – dachte: Der Bursche weiß nicht, was er tut – das könnte Konsequenzen haben .
Doch für die höheren Hierarchieebenen schienen, wenn es um Alkohol ging, völlig andere Regeln zu gelten. Deshalb war es heikel, mit Kollegen zu trinken. Als jüngerer Angestellter wollte man nicht als Puritaner dastehen – man musste auch zeigen, dass man mithalten konnte. Gleichzeitig war es wichtig, eine Balance zu finden. Und das Management hatte einfach mehr Freiheiten. Ich habe einige sehr hohe Tiere gesehen, die sich so betranken, dass sie herumlallten, und am nächsten Tag so taten, als sei nichts gewesen. In gewisser Weise können sie sich das erlauben – schließlich sind sie die Chefs.
Daffey gehört zu den Australiern, bei denen Alkohol lediglich ihre angeborene Überschwänglichkeit verstärkt, und das machte ihn nur noch sympathischer. An diesem Abend rief er die Leute einen nach dem anderen zu sich und gab jedem von uns die Gelegenheit, ihm auf Wiedersehen zu sagen. Als ich an der Reihe war, machte er den üblichen Scherz über die südafrikanische Rugby-Mannschaft, dann wurde er ernst. «Greg, bleiben Sie dran», sagte er. «Sie sind der Typ, bei dem ich glaube, dass Sie bei Goldman Sachs jeden Job machen könnten – ich kann Sie mir auf jeder Position vorstellen, ob Trading oder Sales.» Dann verlor er den Faden und wandte sich dem nächsten zu.
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