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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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«Normalerweise   …», fuhr er behutsam fort.
    «Normalerweise hätte der Kerl in unser Zuchthaus gehört. Da wäre er sicher gewesen.»
    «Ganz bestimmt. Aber in unserem Zuchthaus sind die Blattern, davon habt Ihr wohl gehört, Dr.   Hensler lässt niemanden hinaus, aber auch nicht hinein. Weil Paulung nun mal in Hamburg lebt, war es das Beste, ihn dort festzusetzen.
     Vielleicht ist das mit dem Bürgergefängnis nur Gerede, aber auch wenn es stimmt, verstehe ich Eure Empörung nicht so ganz.
     Paulung ist schließlich nicht freigelassen, sondern nur in ein etwas menschlicheres Gefängnis gebracht worden.»
    «Menschlicher! Ist der denn menschlich? Einer, der ein unbescholtenes Mädchen umbringt?»
    «Natürlich ist so etwas unmenschlich», sagte Proovt um Ruhe bemüht und dachte, dass sich gerade das Morden immer wieder als
     menschlich erwies. Tiere brachten ihre Artgenossen äußerst selten um. «Aber bedenkt, bis jetzt gibt es keinen Beweis, dass
     Paulung Eure Tochter, nun, dass er es war. Ich werde noch heute in die Hamburger Fronerei gehen und, das könnt Ihr mir glauben,
     diese Sache mit dem neuen Verdächtigen sehr genau prüfen. Ich werde nicht zulassen, dass irgendein Sündenbock für etwas herhalten
     muss, was ein anderer getan hat. Wobei ich mir in Hamburg niemanden von Einfluss vorstellen kann, der sich für Matthias Paulung
     einsetzen würde. Soviel ich weiß, hat weder er noch seine Familie dort Freunde.»
    «Eine Hand wäscht die andere. Der alte Paulung war einer der Ersten, die auf die andere Seite übergelaufen sind, auf die englische
     nämlich, die lotsen jetzt von Stade aus für die Engländer. Und auf einem englischen Schiff haben sie sich einen Altonaer gegriffen,
     der es nun plötzlich getan haben soll. Wenn das keine Mauschelei ist? Aber Ihr seid ja neu hier, Ihr wisst so was nicht.»
    «Ihr irrt Euch. Ich weiß sehr wohl um den Streit zwischen den Lotsen und habe das auch nicht außer Acht gelassen. Ihr glaubt
     also, der alte Paulung hat die englischen Kaufleute dazu gebracht, den Weddemeister zu bestechen?»
    «Weddemeister? Unsinn. Mit so einem reden die nicht. Müssen sie auch nicht. Da lädt der Courtmaster den Ersten Bürgermeister
     oder den Weddesenator zum Ochsenbraten, und schon sind sich alle einig. Wenn Ihr Euch mit solchen Sachen nicht auskennt, wie
     könnt Ihr dann Polizeimeister sein?»
    Proovt bemühte sich um Contenance. Der alte Mann vor ihm trauerte um seine Tochter, und das konnte einer wie er vielleicht
     nur mit Zorn und wilden Anschuldigungen. Aber alles hatte eine Grenze. Er erhob sich und sah streng auf das drohende Gesicht
     hinab.
    «Ich bemühe mich sehr, Euren Zorn zu respektieren, Ältermann», sagte er, «und ich wäre Euch verbunden, wenn Ihr meine Arbeit
     respektiertet. Ihr seid nicht der Einzige, der weiß, was in der Welt vor sich geht, und ich bin nicht so grün und dumm, wie
     Ihr glaubt. Ich danke Euch für Euren Hinweis, ich werde dem nachgehen. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, damit ich gleich
     nach Hamburg aufbrechen kann   …»
    Zacharias Hörne starrte stumm in das schmale Gesichthinauf, dann nickte er bedächtig, schob im Aufstehen den Stuhl zurück und verließ den Raum, ohne noch ein Wort zu sagen.
    Der Polizeimeister lauschte den müden Schritten nach und stützte leise aufseufzend den Kopf in die Hände. Hörne würde nun
     nach Hause gehen, würde alleine wie immer den sandigen Weg an der Elbe entlang nach Övelgönne stapfen, würde Schritt um Schritt
     den Fluss sehen, hören und riechen, der seine Tochter das Leben gekostet hatte. Die Menschen an der Küste lebten von jeher
     mit dem nassen Tod. Dennoch, es war ein Unterschied, ob ein Fischer oder Matrose im Sturm mit seinem Schiff unterging oder
     ob ein Mädchen einen gewaltsamen Tod im Fluss fand.
    Nein, Proovt mochte den alten Mann nicht, er empfand dessen Härte und beständiges Misstrauen als Selbstgerechtigkeit. Eine
     für das klare Denken ungemein hinderliche Eigenschaft, die ihm ein Gräuel war, umso mehr, als er sich hin und wieder selbst
     dabei ertappte. Anna Hörne hatte ohne Zweifel gute Gründe gehabt, das Leben bei Madame Benning dem im Haus ihres Vaters vorzuziehen.
     Gerade deshalb verstand Proovt Hörnes Qual, die schreckliche Not seiner Seele, und gerade deshalb hätte er geduldiger und
     freundlicher sein müssen. Natürlich wusste auch er sehr genau, dass einer mit Verbindungen zu den richtigen Leuten die besten
     Chancen hatte, gerechter

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