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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Strafe zu entkommen. Diesseits wie jenseits des Hamburger Berges.
     
    Ganz Hamburg schien auf den Beinen zu sein, die Straßen waren Christian nie so voll erschienen. Es kostete ihn große Beherrschung,
     seine Apfelschimmelstute nicht einfachdurch die Menge zu jagen. Bella spürte seine Ungeduld und tänzelte mehr als einmal nervös an einer Kutsche oder einem Fuhrwerk
     vorbei. Endlich war das Millerntor passiert, und es ging schneller voran. Am liebsten hätte er die Stute quer über das Grasland
     entlang dem Hochufer galoppieren lassen, doch die Weiden waren dort voller Löcher und Unebenheiten, einen Sturz oder eine
     Verletzung seines Pferdes konnte er heute weniger denn je riskieren. So entschied er sich für den schmalen Weg, der direkt
     zum Pinastor führte und auch jetzt weniger belebt war als der breite Fahrweg zum Nobistor.
    Im Haus am Neuen Wandrahm wurde inzwischen seine Abreise vorbereitet. Elsbeth packte in der Küche ein Proviantpäckchen, im
     Kontor versiegelte sein Vater einen Wechsel für eine Bank in Braunschweig und einen zweiten für eine in Leipzig, er füllte
     die Fächer einer Geldtasche mit Münzen der Gebiete, die Christian durchqueren würde. Polizeimeister Proovt, der zwar weitaus
     weniger gereist war als Claes Herrmanns, dafür aber häufiger in den letzten Jahren und vor allem auf der Strecke nach Südosten,
     saß ihm, eine Karte studierend, gegenüber und listete die Stationen und Abzweigungen der Route auf. Augusta bemühte sich,
     das für einen Ritt nötige Minimum an Kleidung und Wäsche regensicher zu verpacken.
    Auf der Großen Elbstraße in Altona drängten sich noch mehr Menschen und Wagen, Karren und Kutschen als auf Hamburgs Straßen.
     Endlich erreichte Christian Melzers Kaffeehaus. Er band Bella an dem Eisenring neben der Tür fest, warf einem schmutzigen
     Jungen eine Münze zu, das Pferd zu bewachen, und rannte, immer zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinauf.
    Helena saß allein in der Becker’schen Stube und mühtesich mit der Abschrift eines Vorspiels. Wütend, traurig und mit viel mehr Mühe tat sie die lästige Arbeit, die stets zu Rosinas
     Aufgaben gehört hatte. Christian hatte nur kurz überlegt, was er den Beckers sagen wollte, warum er den genauen Verlauf von
     Rosinas Reise wissen musste, und beschlossen, die Wahrheit zu sagen. Eile war geboten, und zumindest Helena war über die Gefahr,
     in der sie Rosina vermuteten, kaum zu täuschen. Tatsächlich sah sie in sein Gesicht und wurde, kaum dass er die Stube betreten
     hatte, geschweige denn etwas erklären konnte, schreckensbleich.
    Nein, beeilte er sich zu versichern, es gebe keine Nachricht von Rosina, auch keine
über
sie. Trotzdem sei es nötig, ihr nachzureiten, umgehend und mit großer Eile.
    In Altona sprach man schon davon, dass der Mörder der Lotsentochter nach Hamburg in die Fronerei gebracht worden war. Auch
     Helena hatte davon gehört und gedacht, wie dumm und unnötig es gewesen war, Rosina zu einer so schnellen Abreise zu drängen.
     Was Christian ihr nun berichtete, erschien ihr wie ein Albtraum. Es stimmte also, was der Polizeimeister vermutet hatte. Anna
     war getötet worden, weil sie ebensolches Haar hatte wie Rosina, weil sie an jenem Abend spät und allein das Theater durch
     den Seiteneingang verlassen hatte. Und sie, Helena, hatte Rosina zur Abreise gedrängt, weil sie glaubte, sie so vor einem
     womöglich Irrsinnigen in Sicherheit zu bringen. Tatsächlich hatte sie sie gedrängt, eine lange, einsame Reise mit dem Mann
     anzutreten, der Auftrag gegeben hatte, sie zu töten. Niemand anderen als Klemens Lenthe hatte Luther als seinen Auftraggeber
     genannt.
    «Aber warum? Warum sollte er ihren Tod wollen? Weil sie eine Komödiantin ist? Eine, die Schande über seinewohlgeborene Familie bringt, wenn sie von der Straße zurückkehrt?»
    Das glaubte Christian nicht. «Dann hätte er sie kaum so gründlich gesucht. Ihr Vater ist alt und sehr krank. Seit dem Tod
     seines Sohnes ist Rosina sein einziges Kind. Ich bin sicher, es geht um Geld, um das Erbe der Lenthes.»
    «Klemens hat doch gesagt, davon sei nicht mehr viel übrig. Natürlich sind das Haus und der Landbesitz wertvoll, aber das ist
     doch alles nichts gegen das, was er selbst besitzt. Das ist doch   …» Sie verstummte, und ihre Augen weiteten sich im Begreifen. «Ihr glaubt, das alles war eine Lüge? Er besitzt gar nicht so
     viel und hat auf das Erbe gehofft, das nun auf Rosina wartet?»
    «Ich weiß es nicht, Madame

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