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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nur
     die Leute, ich weiß nichts darüber, woher sollte ich das auch?, nun war sie in gesegneten Umständen, wobei ich nicht sicher
     bin, ob dieser ehrliche christliche Ausdruck hier passend ist. Wenn der Paulung sie nicht mehr wollte und Zacharias Hörne
     ihm gedroht hat – nie wäre der Paulung noch Lotse geworden, wenn das herausgekommen wäre. Nie. Ins Zuchthaus hätten sie ihn
     gesperrt, weggejagt wie einen Kesselflicker.»
    Sie verstummte atemlos, ihr Gesicht hatte sich im Eifer gerötet, und sie starrte ihn mit geweiteten Augen an. Alle Unsicherheit
     ihrer Beobachtungen schien vergessen.
    Proovt fühlte Übelkeit. Obwohl dies alles den Mann,dessen Namen er schon bei Madame Boster gehört hatte, tatsächlich zu einer echten Spur bei der Suche nach dem Mörder des Mädchens
     machte, gefiel ihm weder, was, noch, wie er es hörte. Dennoch: Der Physikus hatte zwar gesagt, das Mädchen sei nicht schwanger
     gewesen. Dennoch, sie wäre nicht die Erste gewesen, die eine Ehe mit einer Lüge erpresste.
    «Wenn ich Euch richtig verstehe, wollte Mademoiselle Hörne sozusagen um jeden Preis Madame Paulung werden. Ihr Vater hätte,
     nach dem, was Ihr sagt, nie zugestimmt. Was also sollte daraus werden?»
    «Ihr Vater hat sie nicht gekümmert. Sie hatte Ideen. Sie hat versucht, das sagen jedenfalls die Leute, ihn zu überreden, mit
     ihr in die amerikanischen Kolonien durchzubrennen. Oder nach Surinam zu ihren Cousins Benning. Das sagt man, ja. In die Kolonien.
     Und er wollte nicht. Sagen die Leute. Was sollte er auch bei den Wilden?»
    Wenn er von ihr noch einmal «sagen die Leute» hörte, dachte Proovt, würde er sie umgehend hinauswerfen. «Das sind in der Tat
     interessante Auskünfte. Ich werde mir alle Mühe geben, sie richtig zu werten, Mademoiselle. Noch eine Frage: Es war eine sehr
     diesige Nacht, wie konntet Ihr die beiden so deutlich erkennen?»
    «Das sagte ich doch: Als sie an unserem Haus vorbeigingen. Ihr wisst doch sicher, dass wir eine Laterne vor der Tür haben.
     Mein Vater sagt, bei dem vielen Gesindel in der Stadt muss man sich schützen, und Gesindel scheut nun mal das Licht. Die Laterne
     wird erst eine Stunde nach Mitternacht von dem Nachtwächter gelöscht.»
    «Sehr löblich. Euer Vater ist ein vorausschauenderMann. Warum seid Ihr eigentlich erst heute zu mir gekommen, Mademoiselle Rogge? Die Männer des Hafeninspektors haben die Tote
     am Donnerstagmorgen gefunden. Habt Ihr so lange mit Euch gerungen?»
    Genauso, versicherte sie, sei es gewesen. «Gerungen. Drei quälende Tage. Die Nächte nicht zu vergessen.»
    Matthias Paulung, so erklärte sie noch, arbeite auf der Baustelle des Hamburger Hanfmagazins. Natürlich wisse sie nicht, wo
     er wohne. Aber sie habe gehört, er teile sich mit zwei der anderen Arbeiter ein Dachzimmer im Haus des Farbenmachers im Kornträgergang.
     Es sei ganz leicht zu finden, jeder in der Hamburger Neustadt könne ihm das Haus zeigen, es rieche dort auch sehr besonders.
    Dafür, dass sie natürlich nicht wusste, wo Matthias Paulung wohnte, wusste sie es recht genau. Proovt ersparte sich die Frage
     danach, er fragte auch nicht mehr, wieso sie so genau um die Familienverstrickungen der Toten wusste. Seine Sehnsucht nach
     frischer Luft, Ochsenzunge und einem milden Bordeaux war geradezu übermächtig geworden.
    Nachdem er Mademoiselle Rogge seinen Schreiber als Begleitung durch die dunkle Stadt bestellt hatte – wegen dringender Amtsgeschäfte
     musste er ihr seine persönliche Begleitung leider versagen – konnte er endlich das Rathaus verlassen und zum Alten Ratskeller
     eilen. Der bohrende Hunger hatte sich, vom langen Warten verstimmt, inzwischen davongemacht. Zu Proovts Verdruss hatte er
     den Appetit gleich mitgenommen.

KAPITEL 6
    SONNABEND, DEN 11.   MARTIUS,
ABENDS
    Die Stube über Melzers Kaffeehaus war voller Menschen, es war warm, und Rosina, vom Schrecken wie vom schnellen Lauf durch
     das dunkle Straßengewirr erschöpft, lehnte sich schläfrig zurück. Bald erschienen die Stimmen wie das Murmeln eines Baches.
     Ab und zu, wenn Helena sprach, plätscherte das Wasser heller über die Kiesel. Die wohlige Wärme und die vertrauten Stimmen
     erinnerten sie an eine Zeit, als sie es geliebt hatte, wenn alle dachten, sie schlafe längst, aus dem Bett zu schlüpfen und
     die Tür ihres Zimmers einen Spalt zu öffnen. Auch die Stimmen aus dem Salon oder dem Gartenzimmer klangen damals wie ein murmelnder
     Bach, vertrieben Schatten und Ängste und

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