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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Licht gegeben hätten. Sie drückte sich hinter ihm an die Wand, der Junge,
     den er hinausschickte, das Pferd trocken zu reiben und im Stall zu versorgen, sah sie nicht.
    Eine schöne Frau mit kastanienrotem Haar erhob sich vom Tisch, nannte ihn Jean und hielt eine kleine Schimpftirade über sein
     spätes Kommen. Er küsste ihr mit angemessener Zerknirschung beide Hände, zog seinen Fund ins Licht und rief: «Voilà.» Und:
     «Wir brauchen dringend eine warme Suppe und heißen Wein.»
    Plötzlich war der Raum voller Menschen. Alle, die auf den Bänken um den Tisch oder in der Ecke neben dem noch kalten Ofen
     gesessen hatten, standen vor ihnen, und Rosina, die den fremden Mann eben noch gefürchtet hatte, empfand ihn plötzlich als
     ihren einzigen Schutz.
    Besonders der große Dicke mit dem strohgelben Haar und der grimmigen Miene erschien ihr bedrohlich. Und die dünne eisgraue
     Alte mit dem faltendurchzogenen Gesicht, deren kleine schwarze Augen sie musterten wie ein Stück Schimmel im Käse, mutete
     wie eine Hexe an. Immerhin gab es außer dem Jungen noch ein Kind, ein Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, neben der alten
     Hexe die Einzige, zu der sie nicht aufsehen musste. Obwohl sie wusste, wie dumm das war, gab ihr der Anblick des Kindes Mut.
    «Nun starrt ihn nicht so an», sagte der Mann, den die kastanienrote Frau Jean genannt hatte. «Ich habe ihn auf der Straße
     aufgelesen, er wollte da gerade erfrieren. Wahrscheinlich auch verhungern. Ruft die Wirtin und bestellt uns etwas zu essen.
     Heiß und viel. Ich sterbe vor Hunger, und dieser Knirps», sie fühlte seine Hand fest auf ihrer Schulter, «ist mehr tot als
     lebendig.»
    Der Mann mit dem strohgelben Haar brummte irgendetwas und ging hinaus, und die schöne Frau, Helena, sagte: «Bist du verrückt,
     Jean? Von der Straße? Guck dir doch mal die Kleider an. Schmutzig, ja, auch zerrissen,aber bestimmt keine billige Wolle. Wo kommst du her, Kind?»
    Sie hatte sich genau überlegt, was sie auf diese Frage antworten wollte: Sie sei eine Waise in Diensten bei einem Bauern,
     und weil der sie ständig geschlagen habe, dabei zeigte sie auf die noch tiefrote frische Narbe auf ihrer linken Wange, sei
     sie davongelaufen. Man halte sie für tot. Ganz gewiss tue man das. Sie habe ihren zweiten Rock in den Mühlbach geworfen, alle
     dächten, sie sei ertrunken.
    «Du musst dir eine bessere Geschichte ausdenken. Diese stimmt vorne und hinten nicht», sagte Helena. «Deine Hände, so verdreckt
     sie auch sind, haben niemals Holz gehackt, Wassereimer geschleppt oder Garben gebunden. Und deine Kleider hast du nicht bei
     einem Bauern gestohlen, sondern in einem herrschaftlichen Haus.»
    Da kam der Mann mit der Suppe. Er bringe sie lieber selbst herein, die Wirtin müsse nicht schon heute Abend sehen, was der
     Prinzipal unterwegs aufgelesen habe, und nach dem Büttel schreien. Jean lachte, legte ihr eine Decke um die Schultern und
     schob sie auf die Bank hinter dem Tisch. Helena füllte zwei Teller und sah mit aufgestützten Armen, das Kinn in den Händen
     zu, wie Rosina ihren leerte.
    «Immerhin», sagte sie. «Du isst wie ein Ferkel.»
    «Das tut jeder, der tagelang nichts gegessen hat», murmelte die dünne Alte, die Lies genannt wurde, und der Mann mit dem gelben
     Haar, Titus, sagte: «Nun erzähl uns, woher du kommst. Wie heißt du überhaupt?»
    Alle sahen sie erwartungsvoll an, aber sie löffelte ihre Suppe, tatsächlich gierig wie ein Schwein, und schwieg.
    «Nun gut», sagte Jean, «woher du kommst, mag dirmorgen einfallen. Deinen Namen wirst du aber wissen. Also: Wie heißt du?»
    Auch darüber hatte sie schon vor ihrer Flucht nachgedacht. «Rosina», sagte sie. Und: «Könnte ich bitte noch ein wenig Suppe
     haben?»
    «Rosina?», rief Jean. «Wieso Rosina?»
    Die anderen, die erst jetzt begriffen, dass er sie für einen Jungen hielt, lachten, und auch Rosina spürte, wie sich ihre
     Lippen verzogen. Sie hob den Kopf, sah in die Gesichter und beschloss, dass es nichts nütze, Angst zu haben. Sie hatten ihr
     eine warme Stube und zu essen gegeben, für alles andere war morgen Zeit. Oder später in der Nacht. Wenn alle schliefen, konnte
     sie immer noch fortlaufen.
    «Und wohin will Rosina? Wohin ist die Mademoiselle unterwegs?», fragte Jean weiter.
    «Nach Leipzig», sagte sie und legte den Löffel neben den schon wieder leeren Teller.
    «Da hast du dich ordentlich in die Irre schicken lassen. Ich weiß nicht, woher du kommst, aber als ich dich

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