Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
könnten,
bis die Sache aufgeklärt ist.«
War sie
denn nicht schon klar? Paula wurde heiß und kalt. Sie blickte zu Philippe.
Doch der
zuckte nur die Schultern. »Ich bin sicher, das wird sich ganz schnell geklärt haben.«
Kapitel 6
»Madame Assmann, Telefon für Sie.«
Immer noch
außer Puste griff Paula nach dem Hörer. Die Orgie gestern Nacht – vier doppelte
Wodka, oder waren es fünf? – hatte sie bitter büßen müssen. Erst jetzt, nach zwei
Aspirin und dem Joggen in der frischen Morgenluft war sie wieder einigermaßen gut
drauf.
Aber nicht
lange. Am Telefon war Robert. Die französische Kripo hatte anscheinend blitzschnell
gearbeitet. Er wusste bereits über alles Bescheid. Stinksauer war er gewesen, als
er so früh aus dem Bett geholt worden war, nur weil seine durchgeknallte Ehefrau
sich wieder mal ein Ding geleistet hatte. Inzwischen nahm das ja Formen an. Also
nein, so was Absurdes. Bilderfälscherei. Recherchen. Für einen Roman. Überhaupt,
dieses ganze Theater, zurück an die Uni, in diesen dämlichen Schreibkurs, und dann
noch mit Claqueuren wie Simon.
Obwohl klar
war, dass sie wirklich Mist gebaut hatte, ging ihr nun doch der Hut hoch. Ausgerechnet
jetzt auch noch von Simon anzufangen. Das war doch krank. Robert tickte ja wohl
nicht mehr richtig.
Wer hier
wohl nicht mehr richtig tickte! Sie stritten und stritten, wie gehabt. Es wurde
so schlimm, dass Paula schließlich den Hörer hinschmiss.
Dass die
Geschichte wahnwitzig gewesen war, das wusste sie selbst. Es tat ihr ja auch leid.
Aber dann immer wieder mit Simon daherzukommen. Wenn Robert noch lange so weitermachte,
dann würde sie wirklich mit Simon ins Bett gehen. Das hatte er dann davon.
Sie schaute
auf die Uhr. Gleich zwölf. Vielleicht war Simon noch zu Hause. Kurz entschlossen
wählte sie seine Nummer. Und sie hatte Glück. Simon klang zwar auch etwas schockiert
– na ja, logisch. Aber er verstand wenigstens, wie so was kommen konnte.
Sie weinte
ein bisschen.
»Sag mal,
was hältst du davon, wenn ich mich in den nächsten Flieger setze und komme?«
Natürlich
sollte er kommen, so schnell wie möglich. Sie würde ihn in Nizza abholen. Das Hotel?
Nein, das war nicht ausgebucht. Klar, sie freute sich riesig.
Beim Abendessen
sagte sie Philippe, dass sie Besuch erwarte.
»Oh, ausgezeichnet.
Das ist gut, dass dein Mann jetzt kommt.«
Nein, nein,
nicht ihr Mann – ein Freund. Ein guter Freund, jemand aus ihrem Schreibkurs.
Aus ihrem
Schreibkurs? Auch ein Schriftsteller?
Nun, so
was Ähnliches. Und Paula sprudelte auf einmal über vor lauter Simon.
Philippe
runzelte die Stirn. Ja, und Robert?
Ach, Robert.
Das war so eine Sache für sich. Natürlich liebte sie ihn, ganz bestimmt, aber …
Und sie rollte die Liste der Aber auf, die jeden Tag länger wurde.
Paula redete
und redete. Nicht nur über ihre Ehe, sondern auch über die gemeinsamen Freunde,
die ihr inzwischen so auf die Nerven gingen. Johannes mit seinem wahnwitzigen Fitnessprogramm.
Becca mit ihren Damenkränzchen und silbernen Buttermesserchen. Lukas, der die Tage
bis zum Ruhestand zählte, per Strichliste, wie im Knast. Charlotte mit ihren Frustkäufen
und ihrem Schönheitswahn. Markus mit seinen Pleiten, Pech und Pannen.
»Na, und
du, Paula – hast du denn gar keine Marotten?«
Natürlich
hatte sie Marotten. Aber doch nicht solche.
Hm. Vielleicht
sollte sie ein bisschen toleranter sein?
Ja, ja.
Aber wenn dann immer wieder diese abfälligen Kommentare kamen, von wegen Uni und
Schreiben und so …
»Das kränkt
dich natürlich.«
»Ja, klar.
Wo doch das Schreiben jetzt mein Ein und Alles ist. Und das weiß Robert auch ganz
genau. Also, wenn ich da erfolgreich wäre, wenn ich das schaffen würde, das wäre
wie … wie die Reise nach Samarkand.«
»Wie was?«
»Die Reise
nach Samarkand. Als ich ein kleines Mädchen war, war das mein sehnlichster Wunsch.«
»Wie kamst
du denn darauf?«
»Ich habe
als Kind die Märchen aus ›1001 Nacht‹ nur so verschlungen. So, wie sie heute ›Harry
Potter‹ verschlingen. Da war alles golden. Kuppeln, Moscheen, Minarette. Alles glänzte
für mich. Mein ganzes Taschengeld habe ich gespart, für die Reise ins Morgenland.«
Sie schaute ihn an. »Verstehst du, was ich meine?«
Philippe
nickte. »So ungefähr.«
»Siehst
du, und Robert findet das albern. Da braucht er sich doch nicht zu wundern, wenn
ich mir Freunde suche, mit denen ich darüber reden kann. Leute wie Simon, beispielsweise.«
Sie griff
zum Glas. »Ach,
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