Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
wegen des
Zuschauens, Paula hätte ihn auch von der anderen Seite aus sehen können. Nein. Eine
Riesenfontäne war’s, die ihn von oben bis unten besprühte. Kaum zu glauben, dass
einer so viel pinkeln konnte. Tja, der Mistral.
Paula kringelte
sich vor Lachen, sie konnte sich kaum mehr halten. Es war ja auch ein Bild für Götter.
Treffsicher wie eine Sprinkleranlage.
»Herrgott
noch mal, die frische Hose. Die Schuhe. Die Socken. So ein Mist. Und das Hemd ist
auch hinüber.« Hochrot im Gesicht blickte Simon zu ihr herüber. »Du brauchst gar
nicht so zu lachen. Was soll ich denn jetzt tun?«
Meine Güte,
hatte der sich.
»Moment,
ich helfe dir.« Sie stieg aus, ging zum Kofferraum und fing an, Simons Reisetasche
zu durchwühlen. Schließlich fand sie, was sie suchte.
»Da, zieh
dich um.« Sie warf ihm ein frisches Polohemd, Jeans und ein paar Sandalen zu. Dann
setzte sie sich ans Steuer und wartete, bis er wieder neben ihr saß.
Eigentlich
hatte sie ihn für humorvoller gehalten. Aber, na ja, vielleicht hätte sie auch so
reagiert, wenn sie so pitschnass geworden wäre.
Sie fuhren
weiter, und nach einigen Kilometern war die Welt wieder in Ordnung. Simon hatte
sich gefangen, er hatte sich sogar entschuldigt. Hatte im Rückblick und in trockener
Wäsche sogar gelacht. Na also.
Bouches-du-Rhône,
Étang de Vaccarès, Saintes-Maries-de-la-Mer, Aigues Mortes. Wolken von
rosa Flamingos.
»Ach, Paula,
diese Gegend ist einfach faszinierend. Lass uns zwei Tage länger bleiben. Wir haben
doch keine Eile.«
Nein, sie
hatten alle Zeit der Welt. Paula telefonierte kurz mit dem Rezeptionschef des ›Fleurs
d’été‹. Überhaupt kein Problem, Madame. Selbstverständlich könnten sie ihre Zimmer
behalten. Monsieur Thévenon? Oh, der sei abgereist, ja, schade. Er habe aber eine
Nachricht für sie hinterlassen. Also, à bientôt!
Sie genossen
die Tage in vollen Zügen. Sie genossen sie in jeder Hinsicht.
Dann fuhren
sie zurück, wieder Richtung Osten. Durch das Graubraun der spätsommerlichen Camargue,
der Farbe des afrikanischen Sandes. Vorbei an Thujabäumen und Pappeln, vorbei an
den schilfigen, glitzernden Étangs. Durch Düfte von Thymian und Rosmarin.
»Ich hab
auf einmal Hunger, schrecklichen Hunger. Du nicht auch, Simon?«
Es war Mittagszeit,
und nach dem dürftigen Frühstück mit Croissantsund Café au laitwar
das auch kein Wunder. Sie waren inzwischen schon hinter Arles.
»Komm, wir
machen einen Abstecher nach Les Baux«, schlug Simon vor. »Lass uns im ›Ousteau des
Alpilles‹ zu Mittag essen. Das ist das beste Restaurant weit und breit. Anschließend
können wir ja noch hinauf in die ›Cité morte‹, wenn du möchtest.«
Paula liebte
gutes Essen und ein gepflegtes Ambiente. Wie im ›Fleurs d’été‹ beispielsweise. Aber
dieses Restaurant hier war absolut nicht ihre Kragenweite. Alles einen Tick zu edel.
»Simon,
gib mir doch mal deine Speisekarte.«
»Du hast
doch selbst eine. Such dir in aller Ruhe was aus.« Er begann zu blättern.
»Madame,
Monsieur, Ihr Aperitif. Campari Orange.«
»Oh, merci.
Das ging aber schnell.«
Ein Bückling,
und schon war der vornehme Ober wieder verschwunden.
»Bei mir
stehen keine Preise da.«
»Das ist
schon okay.« Simon lächelte. »Lass das mal meine Sorge sein.«
»Ich will
wissen, was das kostet. Haben die hier noch nichts von Emanzipation gehört?«
»Paula,
das ist hier nicht üblich, das kannst du nicht …«
Zu spät.
Schon griff sie über den Tisch, um sich seine Speisekarte zu schnappen. Und hätte
Simon einfach losgelassen, wäre gar nichts passiert. So aber endete der Geschlechterkampf
böse. Die ganze Damasttischwäsche war blitzschnell in ein intensives Orangerot getaucht,
die Blumenvase mit der weißen Lilie umgekippt und über den Tisch gerollt.
Paula hasste
weiße Blumen, und ganz besonders weiße Lilien. Les Fleurs du mal.
»Herrgott
noch mal, musste das sein?«
Mit wem
saß sie hier eigentlich am Tisch? Mit Robert?
»Du hast
alles ruiniert.«
»Wieso,
hast du auch was abbekommen?«
Simon schaute
an sich hinunter. Wortlos.
»Na, dann
ist doch alles noch mal gut gegangen.«
Zwei Ober
waren bereits herbeigeeilt, um den Schaden diskret zu beheben. Und in Windeseile
saßen sie wieder vor neuen Gedecken auf blütenreinem Stoff.
»Musste
das sein?« Simon wiederholte sich. »Bloß wegen irgendwelcher feministischer Anwandlungen?«
Paula schwieg.
Ihr war der Appetit vergangen. Da halfen auch die marinierten Entenhappen nicht
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