Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
Bühne gebracht. Also, Simon hatte wirklich keinen Grund,
sich etwas vorzuwerfen.
Aber seit
ihrer Rückkehr vor vier Wochen war er nicht mehr er selbst. Nachdem sie sich auf
dem Frankfurter Flughafen getrennt hatten – er war vorsichtshalber mit einer späteren
Maschine nach Bremen weitergeflogen –, hatte er sich eingeigelt. Ging nie ans Telefon,
wenn sie anrief, reagierte nicht, wenn sie auf den Anrufbeantworter sprach.
Schließlich
hatte sie es nicht mehr länger ausgehalten. Sie war zu ihm gefahren und hatte Sturm
geläutet. Ganz eigenartig war er gewesen, als sie vor seiner Tür stand. Ein Wunder,
dass er sie überhaupt hereingelassen hatte.
Und was
er dann so alles von sich gab! Faselte von Schuld und Sühne. Und dass sie sich nicht
mehr sehen dürften.
»Das kann
doch nicht dein Ernst sein. Du bist ja völlig durcheinander.«
Er sah hundsmiserabel
aus. Aschfahl unter seiner Sonnenbräune.
»Du musst
zum Arzt. Du musst dir helfen lassen. Traumatherapie oder so.« Paula fasste ihn
an beiden Schultern. Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt. »Glaub mir, alles wird
wieder gut.«
Und natürlich
würden sie sich wiedersehen. Natürlich würden sie wieder zusammen im Workshop sein.
Natürlich würden sie wieder miteinander diskutieren und lachen und …
Zumindest
an diesem Nachmittag ließ sich Simon beschwatzen. Zumindest nickte er und murmelte,
ja, ja, du hast ja recht. Ja, ja, ich geh zum Arzt. Ja, ja, wir sehen uns wieder.
Aber das
war’s dann auch.
Natürlich war es Thésage gewesen,
dieser ach so charmante Galerist. Wer hätte es auch anderes sein sollen? Und warum
er Paulette und ihn auf seine Spur gesetzt hatte, war Serge inzwischen ebenfalls
klar. Es war grenzenlose Eitelkeit gewesen, Thésage wollte für seine Brillanz und
Raffinesse bewundert werden. Dabei glaubte er, so clever vorgegangen zu sein, dass
er nicht überführt werden konnte. Er glaubte, dass Wissen nicht Beweisen hieß. Was
ja auch manchmal stimmte.
Und der
Mordanschlag? Nun, das war der entscheidende Fehler gewesen. Allein durch diesen
faux pas hatte Serge den Gauner entlarven können. Allerdings war der Mordanschlag
nicht Thésages Idee gewesen, sondern die des Comte. Der natürlich gar kein Comte
war. Er war der ehemalige Kompagnon, der sich damals ganz schnell und unauffällig
aus der Galerie zurückgezogen und eine andere Identität angenommen hatte. Mit seinem
Teil der Beute, versteht sich. Dieser Halunke hatte offenbar ein noch größeres kriminelles
Potential gehabt als der gute Thésage. Aber über diese Fährte war Serge fündig geworden.
Serge hatte
nicht die Absicht, zur Polizei zu gehen. Nein, er würde die Sache selbst in die
Hand nehmen. Paulettes Verstümmelung konnte er nicht einfach so hinnehmen. Er musste
jetzt nur noch eine absolut wasserdichte Methode finden, um die beiden Ganoven zu
bestrafen. Serge war in dieser Hinsicht sehr fantasievoll. Sein eigenes kriminelles
Potential schien auch nicht von schlechten Eltern zu sein. Er wunderte sich sogar
selbst ein bisschen. Aber das war er Paulette schuldig. Paulette würde sich freuen,
diebisch freuen.
Oh ja, Rache
war süß.
Der Schluss der Geschichte sollte
offen bleiben. Sie würde nicht erzählen, wie Serge Paulette rächte. Beziehungsweise
ob er es überhaupt tat – oder ob sich alles nur in seiner Fantasie abspielte. All
das sollte ungesagt bleiben.
Das Telefon
läutete. Schnell griff Paula zum Hörer.
»Hallo,
Paula, hier Jule.«
»Ach, du
bist’s.«
»Na, das
klingt aber nicht begeistert. Störe ich?«
»Nein, nein
– ich wollte sowieso gerade eine Pause machen. Ich war am Schreiben. Ich hab nur
einen anderen Anruf erwartet.«
»Ach, von
deinem Busenfreund Simon?«
Jule wusste
natürlich, dass es zwischen ihnen beiden knisterte. Aber sie wusste nicht, dass
sie miteinander in Südfrankreich gewesen waren. Dass sie miteinander geschlafen
hatten.
»Tut mir
leid, aber du musst schon mit mir vorlieb nehmen. Ich wollte eigentlich fragen,
ob ich dich aus der Bude locken kann. Ich wollte endlich mal wieder mit dir klönen.«
Paula hatte
Jule zuletzt vor ihrer französischen Eskapade gesehen. Seitdem hatten sie nur einmal
kurz miteinander telefoniert. Paula hatte natürlich von der Reise und dem Unfall
erzählt, aber nicht von Simon.
»Einverstanden.
Treffen wir uns heute Nachmittag, so gegen drei?«
»Und wo?«
»Na, wie
immer. Im ›Jürgenshof‹.«
Jule Rolfs
war Paulas beste Freundin. Sie hatten im Studentenheim Tür an Tür
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