Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
gewohnt und alle
Hochs und Tiefs miteinander geteilt. Sich gegenseitig getröstet, wenn etwas schiefgegangen
war – wenn die Klausuren schlecht ausgefallen waren, was bei Paula öfter vorkam
als bei Jule, und natürlich, wenn die eine oder andere Affäre in die Binsen gegangen
war.
Jule war
seit Jahren Inhaberin einer florierenden Apotheke, die jetzt aber durch die Gesundheitsreform
nicht mehr ganz so gut lief. Laut Jule. Aber sie übertrieb da gern. Sie jammerte
sowieso immer, und nicht nur wegen des Geldes. Auch darüber, dass sie trotz ihres
langen Studiums nur eine bessere Verkäuferin geworden sei und allenfalls diverse
Wässerchen zusammenschüttete oder Salben mixte. Und darüber, dass sie damals, nach
ihrem tollen Abschluss mit summa cum laude, das Superangebot des amerikanischen
Pharmakonzerns ausgeschlagen hatte. Sie hätte dort in der Forschung arbeiten und
viel Geld verdienen können.
Aber Jule
war damals, wie sie alle, ultralinks gewesen. Natürlich hatte sie sich nicht dem
schnöden Kapitalismus verdingen wollen. Forschung ja, aber bitte nicht für diese
skrupellosen Konzerne. Eher für den Nobelpreis, das wär’s doch gewesen. Und nun
war sie eine kleine Pillendreherin, wenn auch mit einem ganz passablen Aktienpaket,
einer schon abbezahlten Eigentumswohnung im Viertel und einem flotten Alfa Romeo.
»Menschenskind, Paula, wie siehst
du denn aus?«
Paula fasste
sich ins Gesicht, um die Narben zu verdecken, die noch etwas gerötet waren.
»Das verheilt
noch, hat der Arzt gesagt.«
»Das meine
ich doch nicht.« Jule schüttelte den Kopf. »Nein. Aber du siehst mitgenommen aus.
Richtig leidend. Und dünn bist du geworden. Hat sich dir der Unfall so auf den Magen
geschlagen?«
»Nein, nein,
das ist es nicht.«
Paula hakte
die Freundin unter und steuerte auf den hintersten Tisch am Fenster zu. Im Spätherbst
war der Blick auf die Kastanienbäume besonders schön. Fast wie im neuenglischen
Indian Summer.
Sie bestellten
Kaffee mit Cognac, zur Feier des Tages.
»Also, was
ist es dann?«
»Ach, erzähl
erst du. Wir haben uns so lange nicht gesprochen.«
Jule hatte
momentan Schwierigkeiten mit ihrem Freund. Sie war seit jeher gegen feste Bindungen
und hatte das Verhältnis bisher immer recht locker gehalten. Christian aber, obwohl
durch zwei Ehen vorgeschädigt, bedrängte sie nun wegen einer gemeinsamen Wohnung.
Und das konnte sie auf den Tod nicht leiden. Ein Mann in ihren vier Wänden, das
kam überhaupt nicht in Frage. Das würde nie gut gehen. Das Problem war jetzt allerdings
Christians Verfassung. Christian war Lehrer, Chemie und Physik, und mittlerweile
am Rande eines Burn-out. Mal waren es nervöse Herzrhythmusstörungen, mal ein Magengeschwür,
dann Migräneanfälle, dann die ständigen Erkältungen. Aber vorgezogener Ruhestand
kam für ihn nicht in Frage – zwei Exfrauen und drei Kinder im Studium, das war nicht
billig.
»Und jetzt
hat er auch noch Angstzustände. Ständig ruft er an und nervt mich. An manchen Tagen
sogar vier, fünf Mal.«
»Das ist
ja grässlich. Da bist du ja unter einem Wahnsinnsdruck.«
»Ja. Ich
komme mir schon vor wie in einem Psychothriller. Wenn der so weitermacht …«
Und das
der coolen Jule.
»Aber was
ist denn bloß mit dir los, Paula? Bei dir scheint ja auch was nicht zu stimmen.
Ist was mit Robert?«
»Es ist
immer was mit Robert, das weißt du doch.« Paula zögerte. »Aber diesmal …«
Dann sprudelte
es aus ihr heraus. Von den Streitereien zwischen Robert und ihr. Von Südfrankreich.
Von Simon. Von ihrer Affäre. Von dem Autounfall. Von Simons komischem Verhalten.
Und wie er sie jetzt im Stich ließ.
Sie fing
an zu heulen.
»Oh, Paula.
Du hast dich doch nicht ernsthaft in den Kerl verliebt? Bist du dir sicher, dass
es nicht bloß verletzte Eitelkeit ist? Dass du dich da nicht in was reinsteigerst?«
Jule schüttelte den Kopf. »Das sind nur die Hormone. Das geht vorbei. Wie hast du
dir das denn vorgestellt? Robert ist doch nicht blind.«
»Ich weiß
nicht, ich dachte, irgendwie kriegen wir das schon hin.«
»Und jetzt
kriegst du gar nichts mehr hin.« Jule runzelte die Stirn. »Komm, vergiss ihn. Nichts
ist schlimmer, als wenn so ein Kerl merkt, dass er am längeren Hebel sitzt. Versuch
lieber, die Sache mit Robert wieder einzurenken.«
Paula verzog
das Gesicht.
»Oder willst
du dich womöglich von Robert trennen?«
»Nach all
den Jahren? Was denkst du denn! Nie im Leben.«
»Was willst
du dann? Eine ménage à trois vielleicht?« Jule
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