Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
Abstand, denn er hatte wieder die beiden schwarzen
Bestien bei sich. Aber sie riss sich zusammen. Sie wollte doch die letzten Meter
bis zum Auto mit Anstand hinter sich bringen, wie sah das sonst aus. Als sie schließlich
auf den Beifahrersitz sank, war sie klatschnass.
»So, jetzt
bist du dran.« Sie fächelte sich Luft zu.
Simon ging
auf die Fahrerseite. Er stolperte etwas über den steinigen Boden.
»Na, ich
hätte wirklich vernünftigere Schuhe anziehen sollen.« Er stieg ein. »Was hältst
du davon, wenn wir noch nach Menton fahren? Es ist noch nicht allzu spät. Wir könnten
ins Musée Jean Cocteau, wenn wir schon mal hier sind.«
»Einverstanden.«
Der kleine
Peugeot nahm die Serpentinen Richtung Monaco hinunter zuverlässig wie ein Uhrwerk.
Simon war ein routinierter und vorsichtiger Fahrer. Paula lehnte sich entspannt
zurück und genoss den Blick auf das postkartenblaue Meer, den Grimaldi-Felsen und
die hässlichen Wolkenkratzer von Monte Carlo. Sie schaltete
das Radio an.
Kiss me, a kiss to build a dream on, in my imagination, krächzte Old
Satchmo.
Ach ja,
das war eines von Paulas Lieblingsliedern. Ein Song aus ihrer Studienzeit, aus der
Zeit, in der sie permanent verliebt gewesen war. Nicht nur in Markus, sondern auch
und ganz besonders in die Attraktionen der Universität: mal in den Dekan der Fachschaft,
mal in den Assistenten aus der Biochemie, mal in den kanadischen Gastprofessor.
Es war die Zeit der sexuellen Befreiung gewesen, der Frauenbewegung, der Pille.
Die Zeit vor Aids. Was hatte also schon groß passieren können?
Bis zu jenem
Tag, an dem sie nach einer durchtanzten und durchzechten Nacht vergessen hatte,
die Pille zu nehmen. Es war der Kanadier gewesen, der etwas verlebte Historiker
aus Québec, bilingual, aber durch und durch frankophil, spezialisiert auf die Geschichte
der Inuit. Didier. Didier Irgendwas. Seinen Nachnamen hatte Paula vergessen. Abgesehen
davon, dass er zu alt und zu zynisch gewesen war und außerdem in dritter Ehe verheiratet
und bereits Vater von fünf Kindern, abgesehen davon hätte sich Paula gar nicht an
ihn binden wollen.
Sie hatte
sich damals an gar niemanden binden wollen, und ein Kind wäre das größte Unglück
ihres Lebens gewesen, das Ende ihrer Freiheit. Also hatte sie es wegmachen lassen,
in Holland.
Eine Abtreibung
war damals in Deutschland immer noch tabu gewesen. Paula war mit einer Amsterdamer
Adresse in der Tasche losgefahren, die ihr ihre Freundin Jule besorgt hatte. Es
hatte auch alles zunächst gut geklappt. Die Komplikationen waren erst später gekommen.
Zunächst Blutungen ohne Ende. Dann Fieber, hoch, höher, schließlich lebensgefährlich
hoch. Eierstockvereiterung, Bauchhöhlenvereiterung. Entfernung der Gebärmutter,
Entfernung der Eierstöcke. Bums, aus, Ende, ein für alle Mal.
Nun, sie
hatte sich ohnehin nicht auf ihre Gebärfunktion reduzieren lassen wollen. Obwohl
es ihr im Rückblick dann manchmal doch leidtat. Und für Robert war es eine Zeit
lang ein echtes Problem gewesen, denn er hätte allzu gern Kinder gehabt. Er hatte
damals lange überlegt, sehr lange, nachdem sie ihm die Sache gestanden hatte. Schade
um seine tollen Gene.
»Mensch,
Simon, was ist denn?«
Sie spürte,
wie das Cabrio plötzlich ins Schleudern geriet.
Simon war
gerade dabei, den belgischen Kombi zu überholen, der schon eine Weile vor ihnen
herzockelte. Da tauchte plötzlich auf der Gegenseite eine Limousine auf, wie aus
dem Nichts.
»Verdammt!«
Er versuchte
zu bremsen und wieder hinter dem Kombi einzuscheren, aber ohne Erfolg. Das kleine
Auto spritzte davon wie ein Geschoss. Aus dem Augenwinkel sah Paula, dass Simon
irgendwie vom Bremspedal abrutschte. Sie sah auch genau, dass es ihnen nicht mehr
reichen würde, an dem Belgier vorbeizukommen, obwohl der inzwischen versuchte, so
weit wie möglich nach rechts auszuweichen. Doch rechts war der steil abfallende
Abhang.
Der entgegenkommende
Wagen kam direkt auf sie zu. Simon riss das Steuer nach links, offenbar, um ihn
noch zu kreuzen und den Zusammenstoß zu vermeiden. Auf der anderen Straßenseite
war nämlich eine kleine Einbuchtung, eine Art Ausweichstelle vor der Felswand.
Sie waren
schnell, sehr schnell. Sie schafften es sogar, noch vor der Limousine zu kreuzen.
Aber dann – quietschende Bremsen, krachende Autoteile, splitterndes Glas, donnernde
Steine waren das Letzte, was Paula wahrnahm. Dann wurde es dunkel um sie herum.
Kapitel 8
Ob der Unfall auf Fremdeinwirkung
zurückzuführen war,
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