Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
Anfangs wurde davon ausgegangen, dass sich S. auf Reisen
befindet, aber inzwischen häufen sich die Verdachtsmomente, dass ihm etwas zugestoßen
sein könnte. Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.
»Eigentlich unverantwortlich, dass
dieser Aufruf erst jetzt erfolgt«, meinte Lukas.
»Na endlich.
Wurde auch Zeit«, kam es von Markus.
»Wenn ich
nicht auf dich gehört hätte, hätten sie das schon viel früher gemacht. Oh hätte
ich nur …«, klagte Nikki.
Paula zuckte
nur die Schultern. War ja zu erwarten gewesen, nach all dem Rumgestochere.
Kapitel 20
Ja, das war sie. Paula erkannte
sie sofort wieder, als sie durch die Lobby kam. Schlank, mittelgroß, brünett, mit
lebhaften Augen im runden Gesicht und einem modischen Garçonne-Schnitt. Den hatte
sie in der Fernsehsendung noch nicht gehabt, da hatte sie die Haare noch lang getragen.
Doch dieser Garçonne-Schnitt änderte alles. Es war haarklein die Frisur
gewesen, die Paula in ihren jungen Jahren getragen hatte – Roberts Lieblingsfrisur.
Vielleicht sollte sie sich doch alles wieder abschneiden lassen. Aber das war es
nicht allein, auch Gesichtsform, Augenschnitt, Mimik waren verblüffend ähnlich.
Die Paula von damals und die Hille Himmelsthür von heute.
Allerdings
passierte ihr das nicht zum ersten Mal. Es war in Kapstadt gewesen, 1982 oder ’83,
als sie Robert zu einem internationalen Soziologen-Kongress begleitet hatte. Es
war beim Empfang im Rathaus gewesen. Die Frau des Bürgermeisters. Meine Güte, das
bist ja du! Du mit 50! Paulas Gegenüber blickte genauso entgeistert, der Bürgermeister
jedoch begeistert. Er machte auch gar keinen Hehl aus seiner Begeisterung. Den ganzen
Abend flirtete er ziemlich unverfroren mit ihr. Offenbar war er seinem Typ treu
geblieben.
»Ich habe
im hinteren Salon einen Tisch reservieren lassen, da sind wir ungestört.«
Paula folgte
Hille Himmelsthür. Sie war schon ewig nicht mehr im Park-Hotel gewesen. Da hatte
sich einiges verändert. Alles noch edler, noch vornehmer. Und die Angestellten von
ausgesuchter Höflichkeit. Das war in den Achtzigern anders gewesen. Sie erinnerte
sich an eine umgestülpte Teppichecke im Restaurant und den lakonischen Kommentar
des Chef de salle: »Passen Sie auf, dass Sie nicht stolpern.« Sie hatte den zornigen
Robert kaum im Zaum halten können.
Hille Himmelsthür
schien recht spontan. Sofort begann sie von sich zu erzählen.
Wie Paula hatte sie Germanistik studiert, allerdings wesentlich erfolgreicher. Sie
hatte sogar promoviert, und zwar über Paulas Lieblingsschriftstellerin. Thema: ›Der
delikate Schrecken in Franzi Bergmeisters frühen Erzähltexten‹. Aber die Uni-Laufbahn
war nichts für sie gewesen. Sie begann als Lektorin beim Proskenion-Verlag, ging
anschließend zum Hessischen Rundfunk, zuerst Hörfunk, dann Fernsehen. Moderierte
mehrere Frauenmagazine so erfolgreich, dass man sie mit offenen Armen beim ZDF aufnahm.
Bis zu jenem spektakulären Sonntag. Jetzt war sie gerade dabei, einen eigenen Literaturkanal
aufzubauen. Offenbar hatte sie die nötigen Beziehungen und Financiers.
»Also, Ihr
Manuskript ist schon beim Cheflektor, der ist sehr angetan. Ich habe es auch den
beiden Verlegern gezeigt, ich bin nämlich mit ihnen befreundet. Sie waren begeistert.
Ich würde Sie gern mit ihnen bekannt machen.«
Paula nickte,
wie in Trance.
»Die zwei
sind heute auch in Bremen. Wenn es Ihnen recht ist, können wir uns später an der
Bar zusammensetzen.«
Die Halali-Bar des Park-Hotels hatte
Paula schon immer gemocht. Früher war sie öfter mit Robert hier gewesen, wenn sie
beide Lust hatten, mal einen auf vornehm zu machen. Dann thronten sie auf ihren
Barhockern, schauten von oben herab und lästerten.
Jetzt gab
es zwei Bars, eine für Raucher und eine für Nichtraucher. Als Paula und Robert damals
zusammen das Rauchen aufgegeben hatten, hatten sie ein Jahr lang das Zigarettengeld
in ein Sparschwein gesteckt. Und was war herausgekommen? 14 Tage Gran Canaria. Dass
der Urlaub dann ein Flop geworden war, mit überschwemmten Tennisplätzen, überfluteten
Barrancas und weggespültem Sandstrand – nun ja, das hatte nicht am Rauchen oder
Nichtrauchen gelegen. Aber heute gab es nichts zu lästern und nichts zu mäkeln.
Ahmed Chakani und Reza Arian kamen ihr vor wie Märchenprinzen, Gestalten aus ›1001
Nacht‹. Dunkel, drahtig, schlank, so um die 40. Und diese blitzenden Augen – die
kannte sie nur allzu gut.
Nein, sie
kamen nicht aus
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