Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
Wohnungswechsel
hatte den Vorteil, dass sie wochenlang beschäftigt war. Erst mit Streichen, dann
mit dem Elektriker und dem Klempner, dann mit Herummöbeln, und schließlich auch
mit Neuanschaffungen. Das lenkte von dem Gedanken an den Wettbewerb ab. Allerdings
hatte sie ganz fix die Adressenänderung und die neue Telefonnummer nachgereicht.
Hoffentlich ging da nichts schief.
Ab dem 25.
April wurde Paula nervös. Jeden Tag rannte sie zum Briefkasten, fingerte sich durch
Werbung und Rechnungen, sichtete die Päckchen und Warenproben, die eintrudelten.
Sie hatte vorsichtshalber Rückporto beigelegt, weil sie das Manuskript zurückhaben
wollte, wenn es denn abgelehnt wurde. Allerdings stand in den meisten Ausschreibungen,
dass die nicht prämierten Manuskripte in den Reißwolf wanderten.
Das Monatsende
kam und ging. Nichts flatterte ins Haus, weder Brief noch Päckchen. Wahrscheinlich
hatten die etwas völlig anderes gewollt, etwas Zeitkritisches, womöglich so ein
Opus über die Wende, eine Migrationsgeschichte, einen Coming-out-Roman, das Abarbeiten
des Überalterungsproblems in unserer Gesellschaft oder weiß Gott was. Aber es hätte
ja sein können. Es war eine Chance gewesen. Wer da wohl in der Jury gesessen hatte?
Leute wie dieser Chauvi Ziegler?
Paula und
Misserfolg – das war schon immer ein Kapitel für sich gewesen. Darum hatte sie so
oft ihre Studienfächer gewechselt und schließlich das ganze Studium hingeschmissen.
Tja, und
so war es jetzt mit dem Schreiben. Tote Hose. Vornehmer ausgedrückt, writer’s block.
Nun, andere hatten sich dann zu Tode gesoffen oder vollgekokst, bis sie gaga waren,
oder ihr Jagdgewehr so ungeschickt gereinigt, dass das Problem ein für alle Mal
gelöst war.
Keuchend und schwitzend stieg sie
die Treppe hoch, mit Einkaufstüten beladen. So heiß war es hier selten, Mitte Mai.
Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte sie das Telefon bimmeln. Sie schaffte
es gerade noch rechtzeitig, um auf dem Display zu sehen, dass es die Box war. Also
nicht so eilig. Sie schaffte die Lebensmittel in die Küche, goss sich ein Glas Mineralwasser
ein und setzte sich hin.
»Hier Hille
Himmelsthür. Telefon 04046474849. Ich bitte um Rückruf.« Eine lebhafte junge Frauenstimme.
»Es ist dringend.«
Hille Himmelsthür?
Meine Güte, war das nicht diese Journalistin? Was wollte die denn von ihr? Woher
hatte die ihren Namen? Kurzentschlossen wählte Paula die Hamburger Nummer.
»Frau Assmann.
Schön, dass Sie so schnell zurückrufen. Ich würde gern mit Ihnen sprechen. Über
Ihre ›Hyänenfrau‹.«
Ȇber meine
›Hyänenfrau‹?«
»Ja. Ich
war in der Jury des Literaturwettbewerbs.«
»Oh. Ich
dachte, ich sei aus dem Rennen.«
»Das sind
Sie auch, was den Wettbewerb anbelangt. Leider konnte ich mich nicht gegen die anderen
durchsetzen.« Leises Lachen. »Alles Männer, verstehen Sie? Aber ich darf keine Namen
nennen, sonst bekomme ich Schwierigkeiten.«
Paula staunte
immer noch. Hille Himmelsthür war jene junge Kulturredakteurin, die eine Zeit lang
in der sonntäglichen ZDF-Sendung ›LiteraTourismus‹ mitgemacht hatte. Bis sie sich
mit dem altersstarrsinnigen Moderator so in die Wolle gekriegt hatte, dass es zum
öffentlich-rechtlichen Eklat gekommen war.
Die Himmelsthür
mit Tränen in den Augen. Aufgesprungen und hinausgerannt. Das hatte es im ZDF noch
nie gegeben. Höchstens bei RTL. Paula hatte die Sendung live miterlebt, und am nächsten
Tag konnte jeder alles klitzeklein nachlesen. Die Zeitungen waren voll davon gewesen,
inklusive Fotos.
Man hatte
sie dann ganz schnell durch eine andere Alibifrau ersetzt – ein handzahmes Geschöpf,
das in der Männerrunde nur durch applaudierende Veilchenaugen auffiel.
»Nein, Frau
Assmann, ich rufe nicht wegen des Wettbewerbs an. Ich rufe an, weil ich Ihnen ein
anderes Angebot machen möchte. Ich könnte versuchen, Ihr Buch beim Proskenion-Verlag
unterzubringen. Ich finde es nämlich ganz fantastisch. Es fällt wirklich aus dem
Rahmen.«
Beim Proskenion-Verlag.
Paula wuchs um Zentimeter.
»Ich finde,
Ihre ›Hyänenfrau‹ passt wunderbar in deren Programm. Ich selbst habe dort zwei Jahre
lektoriert, ich weiß, was die wollen.«
Ob sie sich
übernächste Woche treffen könnten? Am Donnerstag? Da war sie nämlich sowieso in
Bremen. Ja? Also dann, im Park-Hotel, in der Lobby, um 15 Uhr.
Vorsichtig
legte Paula den Hörer auf. Dann drehte sie das Radio volle Pulle auf.
Kapitel 19
»Ja, mein Mann hat mich
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