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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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ein.
    Oh, bitte nicht!
    Die Seife brannte nicht in den Augen, und auch sonst passierte recht wenig, nur wurde ich zusehends schwerer und plumper und dicker. Ich sog mich voll. Die Seifenlauge erreichte mein Innerstes, sie umspülte die Liebe. Jetzt fehlt nur noch, dass sie mich an den Ohren aufhängt, dachte ich. Und tatsächlich, genau das tat sie. Sie klemmte meine Ohren mit Wäscheklammern an eine Leine, und ich schwang hilflos im Wind. Fritzi hatte sie damals so liebevoll repariert, und nun wurden meine Ohren einer solchen Belastungsprobe unterzogen! Ich fand das unerhört und freute mich innerlich schon auf Isabelles bevorstehenden Wutausbruch.
    Es tropfte von meinen Füßen und Armen. Plopp, plopp, plopp – immer auf dieselbe Stelle auf dem Rasen. Unter mir bildete sich eine Pfütze.
    Als Jules Marionnaud mittags seine Weinhandlung abgeschlossen hatte und zum Essen nach Hause kam, bemerkte er den entwürdigenden Anblick sofort. Er lachte.
    »Wenn das Isabelle sieht«, sagte er an seine Frau gewandt, »das gibt ein Theater! Dagegen ist Hamlet ein Kinderspiel!«
    »Sie muss eben lernen, dass es nicht immer nach ihrem Kopf geht«, sagte Hélène und deckte den Tisch auf der Terrasse. »Da kam vielleicht ein Dreck raus, das glaubst du nicht. Als hätte Brioche ihn jeden Tag in Wein getunkt.«
    Jules nickte und sagte: »Ich habe heute die letzte Flasche von Brioche verkauft. Eine Cuvée von 1943. Es ist doch wirklich zu traurig. Er hat so guten Wein gemacht.«
    »Er hat seine Frau und seine Tochter geschlagen. Das ist traurig.«
    »Das hat den Wein nicht schlechter gemacht.«
    »Jules, ich bitte dich.«
    Monsieur Brioche hatte das Feuer nicht überlebt. Seine Frau und Lucille hatten das Dorf verlassen, ohne jemals zu erfahren, dass ich als Einziger den Brand überstanden hatte. Doch darum war ich nicht böse. Ich hatte es gut. Endlich.
    Wie erwartet tobte und zürnte Isabelle, als sie mich an der Wäscheleine baumeln sah. Ich war hochzufrieden mit ihrem Auftritt. Weniger wäre für diesen Anschlag auf meine Integrität nicht angemessen gewesen.
    »Entschuldige, Mon ami«, sagte sie und nahm mich von der Leine. »Sie wissen nicht, was sie tun.«
    Vorsichtig rieb sie die Stellen, an denen die Wäscheklammern ihre Abdrücke hinterlassen hatten, sie trocknete mich liebevoll, flüsterte sanfte Worte in mein Ohr und war sehr lieb. Ich sonnte mich in dem Trost, der mir einen Nachmittag lang zuteil wurde. Es war herrlich, getröstet zu werden, und ich verstand plötzlich, warum es für die Menschen so wichtig war, jemanden wie mich zu haben – für jene Momente, wenn das Leben nicht mehr auszuhalten ist. Nach diesem Erlebnis tröstete ich nebenbei bemerkt mit noch mehr Inbrunst als zuvor.
    Ich war glücklich. Und es war ziemlich anstrengend, glücklich zu sein, denn prompt bekam ich Angst, dieses Glück könnte enden. So ist das mit dem Glück, es ist eine flüchtige Angelegenheit. Ich fürchtete, wieder einmal unfreiwillig den Besitzer wechseln zu müssen. Wenn Isabelle mich mit zum Baden nahm, hatte ich Angst, sie würde mich am See liegen lassen; fuhren wir mit dem Fahrrad, befürchtete ich, aus dem Korb zu fallen. Doch nichts dergleichen geschah. Isabelle hütete mich wie ihren Augapfel. Mehr noch, als Robert auf seinen Doudou aufgepasst hatte, sorgte Isabelle für ihren Mon ami. Irgendwann begriff ich, dass sie mich niemals aus Unachtsamkeit verlieren würde, und beruhigte mich.
    Ich war angekommen, hatte ein echtes Zuhause und war der engste Vertraute eines Mädchens, das nicht weniger vom Leben wollte als das Beste, und das immer auf der Suche nach einem neuen Abenteuer war. So konnte es von mir aus immer bleiben.
    Isabelle ließ mich nicht fallen. Nicht, als sie Brüste bekam und eines Morgens kein kleines Mädchen, sondern eine junge Frau war. Nicht, als sie die Volksschule hinter sich ließ und eine vornehme Dame des Lyzeums wurde. Nicht, als sie sich zum ersten Mal verliebte und es nichts anderes mehr auf der Welt gab als André.
    Es war an einem grauen Novembertag 1960, als sie strahlend wie die Julisonne ins Zimmer wirbelte und sich aufs Bett fallen ließ. Ich lag unter ihrer rechten Schulter eingeklemmt und war völlig überrascht von diesem Überfall.
    »Mon ami«, sagte sie, während sie sich zur Seite wälzte und mich neben sich setzte. »Stell dir vor, ich bin verliebt.«
    Ach.
    »Ist das nicht herrlich? André und ich gehören zusammen, auf immer und ewig. Er ist der tollste Junge weit und breit. Du

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