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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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erklärte sie, als Juri Gagarin in den Weltraum flog, doch andere kamen ihr zuvor.
    »Ich werde Friseurin«, erklärte sie und schnitt ihrer Puppe Annabelle so oft die Haare, bis kaum noch welche übrig waren.
    »Ich werde wie van Gogh«, sagte sie und malte ebenfalls Sonnenblumen – nur schöner.
    Ich liebte Isabelle vom ersten Augenblick. Wegen ihres Mutes, wegen ihrer Frechheit und ihrer guten Laune und noch aus tausend anderen Gründen. Anfangs dachte ich noch manchmal wehmütig an Julchen, mit dem leisen Gefühl, dass es mit ihr genauso schön hätte werden können, wären wir uns nur früher begegnet. Doch diese Wehmut verflog rasch, denn mit Isabelle war es viel schöner.
    Ist es nicht merkwürdig? Ich war inzwischen Mitte dreißig und erlebte zum ersten Mal in meinem Leben eine wirklich unbeschwerte Kindheit – frei von den gesellschaftlichen Zwängen, wie sie in England geherrscht hatten, frei von der Bedrohung von Krieg und Bomben und ohne Angst vor fremden Mächten.
    Die ersten Jahre waren ein wahres Fest.
    Schon bei meinem Einzug in Isabelles Kinderzimmer stach ich alle anderen Konkurrenzspielzeuge aus. Das darf beileibe nicht unerwähnt bleiben, denn inzwischen nahm die Auswahl an Puppen, Tieren, Autos und Bauklötzen stetig zu. Doch das beeindruckte Isabelle nicht. Am Abend des Brandes, nachdem sie mich aus den Flammen gerettet hatte, nahm sie ihre Puppe Annabelle zur Hand und sah sie ein wenig mitleidig an.
    »Du musst das verstehen, Annabelle. Dieser Bär ist jetzt mein Freund. Er braucht mich nötiger als du.«
    Und sie legte Annabelle in den Schrank, wo sie von nun an nur noch darauf wartete, gelegentlich frisiert zu werden.
    Ich wurde nie frisiert, ich durfte genau so bleiben, wie ich war. Auch wenn es ein harter Kampf war, denn Isabelles Mutter, Hélène Marionnaud, war von meinem Einzug ins saubere Familienheim zunächst überhaupt nicht begeistert. Sie beäugte mich kritisch, drehte und wendete mich, und als sie mich an die Nase hob, brach jegliches Wohlwollen mir gegenüber zusammen.
    »Isabelle, nun schau doch mal her, ma petite. Dieser Bär ist schmutzig und alt. Er riecht. Wir sollten ihn wegwerfen.«
    »Dieser Bär, Maman, ist mein Freund. Mon ami, verstehst du?«
    »Ja, Schatz, das verstehe ich, aber wer weiß, wo dein Freund schon überall herumgelegen hat …«
    Das kann ich dir sagen. Ich bin schon ziemlich viel herumgekommen. Aber bislang war das noch nie ein Grund, mich wegzuwerfen!
    »Mon ami bleibt, wo er ist. Wie kannst du nur so gemein sein, Maman? Ich soll ihn wegwerfen? Würdest du mich auch wegwerfen, nur weil ich ein bisschen ungewaschen bin?«
    »Also gut«, lenkte Hélène ein. »Aber du musst deinen Mon ami waschen, sonst tu ich es.«
    Bitte nicht, kein Wasser!
    »Nein! Das darfst du nicht! Er hat auch Rechte, verstehst du?«
    Genau!
    »Nein, Isabelle, die hat er nicht. Er ist ein Stofftier. Und ich lasse nicht zu, dass du uns Ungeziefer ins Haus bringst. Das ist mein letztes Wort.«
    »Mon ami hat kein Ungeziefer. Und das ist mein letztes Wort.«
    Isabelle drehte sich auf dem Absatz um und ließ ihre verdutzte Mutter stehen. Niemand durfte ihren neuen Freund ungefragt anfassen. Ach, wie stolz ich war. Endlich eine Freundin, die mich verstand. Spätestens in diesem Augenblick war ich in heißer Liebe zu Isabelle entbrannt.
    Es blieb bei diesem Namen »Mon ami«, der eigentlich kein Name war. Aber ich konnte gut damit leben, denn er beschrieb, was ich für Isabelle war: ihr Freund.
    Selbst Hélène Marionnaud konnte zunächst nicht anders, als sich dem Dickkopf ihrer Tochter zu fügen. Sie verlor jeden argumentativen Zweikampf, und Isabelle wusste genau, dass Autorität nicht gerade eine Stärke ihrer Mutter war. Doch Hélène war eine kluge Frau und fand andere Wege, sich durchzusetzen.
    Eines Morgens, als Isabelle in aller Hektik aufgebrochen war, um den Schulbus nicht zu verpassen, vergaß sie, mich im Schrank bei Annabelle zu verstecken. Das tat sie sonst jeden Morgen, denn offenbar wusste sie nur zu gut, dass ihre Mutter geduldig wie eine Spinne im Netz auf die Gelegenheit lauerte, in Ruhe tun zu können, was sie für richtig hielt.
    Als Isabelle mit dem roten Ledertornister auf dem Rücken davongerannt war, blieb ich völlig ahnungslos, müde und verwirrt auf dem Bett sitzen, in Gedanken noch beim vorherigen Abend.
    Wir hatten an diesem Morgen verschlafen, weil Isabelle mir bis spät in die Nacht von einem Mann namens James Dean erzählt hatte, der ein paar Tage

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